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Ukraine-Konflikt Wieso die meisten Sanktionen Putin kalt lassen dürften

Der Westen droht Russland mit Konsequenzen in Form von Sanktionen, sollte Moskau in der Ukraine militärisch intervenieren. Mit Präsident Wladimir Putins Anerkennung der «Volksrepubliken Luhansk und Donezk» als unabhängige Staaten wird dieses Druckmittel immer wahrscheinlicher.

Mit realistischen – das heisst, aus westlicher Sicht verkraftbaren Sanktionen – werde es zwar nicht möglich sein, den Konflikt politisch zu entschärfen, sagt Russland-Experte und Ökonom Vasily Astrov. Dennoch gäbe es Optionen, welche die russische Wirtschaft empfindlich treffen könnten. Eine Übersicht.

Vasily Astrov

Ökonom und Russland-Experte

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Vasily Astrov arbeitet seit 19 Jahren als Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Der gebürtige Russe ist spezialisiert auf Russland und Osteuropa sowie auf Makroökonomie. Bis 2019 war er am WIIW für die Ukraine zuständig.

Option: Sanktionen gegen russische Persönlichkeiten

Wahrscheinlichkeit: Wird bereits umgesetzt. Seit 2014 haben laut Astrov vor allem die USA diverse Sanktionsrunden gegen einzelne Personen im Umfeld des Kreml und gegen russische Oligarchen verhängt. Dazu gehören etwa Einreiseverbote oder das Einfrieren von Bankkonten.

Wirkung: Russland hat bereits darauf reagiert: «Der Elite wurde es erschwert, ausländische Aktiva – etwa ausländische Pässe oder Konten – zu besitzen», sagt Astrov. Der Widerstand der Elite gegen Putin sei klein, weil sie von ihm stärker abhängig sei als vom Rest der Welt. «Fakt ist: Trotz der Restriktionen haben doch relativ viele wohlhabende Russen Häuser in London oder an der Côte d’Azur.»

Option: Beschränkungen an den internationalen Finanzmärkten

Wahrscheinlichkeit: Hoch. Konkret könnte man russischen Firmen die Aufnahme von Kapital an ausländischen Finanzmärkten erschweren oder deren Aktiva einfrieren. Oder man verbietet es westlichen Investoren, russische Staatsanleihen auf dem sekundären Markt zu kaufen. «Diese Optionen würden sich in der russischen Wirtschaft bemerkbar machen, wären aber nicht mit grossen Problemen für die EU verbunden.»

Wirkung: Zwar würden derlei Beschränkungen einzelne Firmen schmerzen. Makroökonomisch gesehen aber, so Astrov, hätten sie keinen grossen Einfluss auf Russland. «Das Land steht finanziell sehr gut da.» EU-Banken, die mit Russland zusammenarbeiten, wären allerdings auch betroffen.

Russlands jahrelang erarbeitete Widerstandsfähigkeit

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Die Widerstandsfähigkeit gegen westliche Sanktionen, erklärt Ökonom Vasily Astrov, habe sich Russland auf Kosten der eigenen Bevölkerung über Jahre erarbeitet. «Die Priorität der russischen Politik war, sich gegenüber dem Westen abzusichern. Diese Strategie und die Modernisierung der russischen Armee wurden seit Jahren verfolgt.» Deshalb sei die Verwundbarkeit Russlands für westliche Sanktionen nicht hoch.

Russland weise eine sehr niedrige öffentliche Verschuldung auf (15 Prozent des BIP) und verfüge über fiskalische Reserven in der Höhe von 12 Prozent des BIP. Hinzu kämen Devisenreserven von 640 Milliarden US-Dollar. «Theoretisch könnte die russische Zentralbank kurzfristig alle Auslandsschulden decken.»

Laut Astrov könnten Sanktionen aus dem Westen sogar das Gegenteil bewirken: Indem Präsident Wladimir Putin Sanktionen als Druckmittel des «bösen Westens» gegen Russland ausspielt. Dadurch sei schliesslich auch Putins Popularität begründet: Man müsse sich gegen den Druck aus dem Westen behaupten.

Option: Ausschluss Russlands von der internationalen Zahlungsorganisation SWIFT

Wahrscheinlichkeit: Unwahrscheinlich, da es sich um eine «ziemlich harte Intervention» handelt, die auch der EU schaden würde. «Selbst Putins Anerkennung der 'Volksrepubliken Luhansk und Donezk' wird dafür allein eindeutig nicht reichen», sagt Astrov.

Russisch-chinesische Alternative zu SWIFT?

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Russland hat in den vergangenen Jahren gemeinsam mit China ein alternatives Zahlungsabwicklungssystem entwickelt. Laut Astrov ist dieses System momentan nur beschränkt einsatzfähig – vor allem in Binnenzahlungsverkehr sowie in Transaktionen innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion und mit China. Mittelfristig ist jedoch davon auszugehen, dass das System ausgebaut wird und zu einer echten Alternative zu SWIFT werden kann.

Wirkung: Der russische Finanzsektor ist durch SWIFT stark in den internationalen Bankenmarkt eingebunden. Ohne SWIFT könnte man nur noch eingeschränkt Bankzahlungen vornehmen. «Kurzfristig wäre der Ausschluss ein Schock – allerdings auch für Europa, weil es sehr viel Handel zwischen der EU und Russland gibt.» Ein Drittel des russischen Aussenhandels entfällt auf die EU.

Option: Embargo auf westliche Technologie

Wahrscheinlichkeit: Sehr wahrscheinlich. «Diese Massnahme fällt in die Kategorie 'nicht harmlos für Russland, aber verkraftbar für den Westen'», sagt Astrov.

Wirkung: Zwar würde man so der russischen Wirtschaft schaden, aber mittel- bis langfristig würden die fehlenden Importe wohl durch inländische Produktion oder durch Importe aus China ersetzt.

Option: Einschränkung der bestehenden Energie-Importe aus Russland

Wahrscheinlichkeit: Sehr unwahrscheinlich, weil die gegenseitige Abhängigkeit sehr hoch ist. «Das wäre quasi ein atomarer Krieg, bei dem es keine Gewinner gibt.»

Wirkung: 40 Prozent aller Gasimporte in der EU hängen laut Astrov von Russland ab. «Wenn die EU kein russisches Gas oder Öl mehr importiert, wäre das die schlimmste aller Möglichkeiten.» Selbst Import-Kürzungen hält der Ökonom für sehr unwahrscheinlich. «Vorstellbar wäre höchstens, dass man gewissen Energiekonzernen beispielsweise den Zugang zu Kapitalmärkten erschwert.»

Option: Stopp von «Nord Stream 2»

Wahrscheinlichkeit: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte in Berlin bereits an, die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auf Eis zu legen. Derzeit werde es keine Zertifizierung für den Betrieb der Pipeline geben.

Rohre der Nord Stream 2-Gaspipeline im norddeutschen Lubmin.
Legende: Rohre der Nord Stream 2-Gaspipeline im norddeutschen Lubmin. Die beiden Leitungsstränge erstrecken sich über rund 1230 Kilometer durch die Ostsee. Keystone

Wirkung: Ein Unterbruch des Gasleitungsprojekts zwischen Russland und Deutschland ist für beide Seiten verkraftbar – zumal es noch nicht in Betrieb genommen wurde. Ausserdem ist das Projekt selbst unter den westlichen Staaten umstritten.

Schweiz ist zur Übernahme von UNO-Sanktionen verpflichtet

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Der Bund kann Zwangsmassnahmen erlassen, um Sanktionen durchzusetzen, die von der Organisation der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa oder von den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz beschlossen worden sind und die der Einhaltung des Völkerrechts, namentlich der Respektierung der Menschenrechte, dienen. (Art. 1, Abs. 1 Embargogesetz).

Für den Erlass dieser Zwangsmassnahmen in Form von Verordnungen sei der Bundesrat zuständig, wie das Sekretariat für Wirtschaft SECO auf Anfrage ausführt. Die Zwangsmassnahmen könnten in Form von Güterembargos, Dienstleistungsembargos, Finanzsanktionen, Ein- und Durchreiseverbote oder einer Kombination dieser und weiterer Massnahmen erfolgen.

«Als Mitgliedstaat der UNO ist die Schweiz völkerrechtlich verpflichtet, Sanktionen, welche der UNO-Sicherheitsrat erlässt, umzusetzen», heisst es beim SECO. «Wenn die EU Sanktionen gegenüber einem Land erlässt, erörtert der Bundesrat im Einzelfall, ob eine Übernahme durch die Schweiz angezeigt ist oder nicht.» Diese sorgfältige Interessenabwägung erfolge aufgrund verschiedener aussenpolitischer, aussenwirtschaftspolitischer und rechtlicher Kriterien.

SRF4 News, 22.2.2022, 6 Uhr

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