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Strategie bei Verhandlungen Kiew spielt nach Erfahrung mit Trump strategisch

Für die Ukrainer zählt Geduld: Nur so kann Kiew verhindern, dass die USA ins russische Lager abdriften, sagt der ukrainische Politologe Wolodimir Fessenko.

Nach ein paar düsteren Tagen hat sich die Stimmung in Kiew wieder etwas aufgehellt. So sagt der 19-jährige Viktor, der im Zentrum der Hauptstadt unterwegs ist: Der Plan in seiner ursprünglichen Form, der der Ukraine aufgezwungen werden sollte, habe ihm Angst gemacht, aber das letzte Wort sei noch nicht gesprochen.

Der 49-jährige Wolodimir, der gerade sein Hündchen spazieren führt, glaubt nicht, dass die Verhandlungen den Frieden näherbringen, auch wenn die Ukraine Zugeständnisse mache. Russland brauche den Krieg und wolle keinen Frieden. Nur wenn die USA sehr starken Druck auf Moskau ausüben würden, könnte das zu einem Resultat führen.

Erfahrung mit Trumps Taktik

Politologe Wolodimir Fessenko sagt, der Plan in seiner ursprünglichen Form sei für die Ukraine weitgehend inakzeptabel gewesen. Doch man habe US-Präsident Trump gegenüber nicht einfach Nein sagen können. Deshalb habe sich die Ukraine einmal mehr zu Gesprächen bereit erklärt, eine Überarbeitung des Plans verlangt und darauf bestanden, dass die Europäer einbezogen würden. Damit habe man Erfahrung. Das habe schon in früheren Fällen funktioniert.

Die Ukraine muss die ganze Zeit um Trump kämpfen.
Autor: Wolodimir Fessenko Politologe

Kiew habe die Taktik von Trump durchschaut, so Fessenko. Zuerst sei er aggressiv und spreche Drohungen aus. Dann folge das Feilschen um einzelne Punkte. Diese Phase ist nun erreicht.

Politologe Wolodimir Fessenko schaut neutral in die Kamera.
Legende: Will man Klarheit in Sachen ukrainische Politik, so spricht man mit dem renommierten Politologen Wolodimir Fessenko (im Bild). SRF / Judith Huber

Fessenko meint, die Ukraine brauche viel Geduld. Es sei in ihrem Interesse, dass die USA nicht vollends ins russische Lager abdriften. Man müsse mit Trump ständig im Gespräch bleiben. «Wir dürfen nicht nachlassen, denn sonst manipuliert der Kreml Trump. Wir müssen die ganze Zeit um ihn kämpfen.»

Auch Fessenko ist der Ansicht, dass Putin kaum daran denkt, den Krieg zu beenden. Putin habe erneut die Illusion, siegen zu können – wegen der für die Ukraine schwierigen Lage an der Front. Dazu kommt, dass die Ukraine wegen des grossen Korruptionsskandals an der Schwelle zu einer innenpolitischen Krise stehe.

Ein ukrainisches Gebäude, das durch russische Militärangriffe beschädigt wurde.
Legende: Schwierigkeiten an der Front und innenpolitische Probleme: Putin hoffe wohl, dass es die Ukraine innerlich zerreisse und er das ausnützen könne, schätzt Fessenko. Reuters / Stringer (13.11.2025)

Paradoxerweise habe dieser Plan, der der Ukraine aufgezwungen werden sollte, dem ukrainischen Präsidenten genützt, meint der Politologe. «Der Plan war ein Schock. Und dann trat Selenski auch noch mit einer düsteren Rede auf, in der er zur Einheit aufrief und von einem der schwersten Augenblicke in der Geschichte der Ukraine sprach.»

Selenski verlagert Fokus

Fessenko scheint es, dass Selenski als Schauspieler seinem Auftritt noch eine Prise Dramatik hinzugefügt habe und somit das Publikum zusätzlich schockiert habe. Und so sei es dem Präsidenten gelungen, die Aufmerksamkeit vom Korruptionsskandal wegzulenken, hin zu der Bedrohung von aussen. Die grosse innenpolitische Krise sei somit vorerst abgewendet.

Ausserdem gelang es Selenski, seinen wichtigsten Vertrauten Andrij Jermak aus der Schusslinie zu nehmen. Auch Stimmen im Parlament fordern dessen Absetzung. Man vermutet, Jermak sei in die Korruption verwickelt. Beweise dafür gibt es keine. Fessenko sagt: «Indem Selenski Jermak zum Leiter der Verhandlungsdelegation ernannte, gab er ihm wohl eine Art Schutzbrief im Sinne von: ‹Rührt ihn nicht an! Er muss sich um die Verhandlungen kümmern.›»

Weiterhin schwieriger Balanceakt

Doch das letzte Wort im Korruptionsskandal ist nicht gesprochen. Die Ermittler fahren mit ihrer Arbeit fort. Die innenpolitische Krise ist wohl nur aufgeschoben, und die Gespräche mit den USA laufen weiter. Selenski soll noch diese Woche mit Trump zusammentreffen.

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Rendez-vous, 26.11.2025, 12:30 Uhr; sten

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