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Uneinige UNO Der Migrationspakt – Ein Start mit schwerem Geburtsmakel

Dass Bestrebungen der Vereinten Nationen auf Widerstand stossen, das gab es immer mal wieder. Einzigartig beim UNO-Migrationspakt ist hingegen, dass zuerst die UNO-Mitgliedländer dem Ergebnis zäher Verhandlungen fast unisono Beifall zollen, sich dann aber, fast über Nacht, eine ganze Reihe von Staaten anders besinnt und der Vereinbarung doch nicht beitreten will.

Genau das ist dem UNO-Migrationspakt widerfahren. Nach den USA, die als einzige von Anfang an nicht mitmachten, distanzierten sich etliche europäische Staaten von dem Papier, aber auch Australien, Israel oder Chile. In Belgien führte die mit seltener Heftigkeit geführte Debatte gar zum Kollaps der Regierungskoalition.

Nehmen und Geben

Inhaltlich ist der Pakt ein typischer UNO-Kompromiss. Alle erhielten etwas, alle mussten etwas geben. In einigen Punkten erkennt man die Handschrift der Entwicklungsländer. In anderen jene der westlichen Welt.

Die reichen Länder können weiterhin darauf pochen, die Zuwanderung souverän selber zu steuern. Sie begrüssen, dass erstmals in einem UNO-Papier klar unterschieden wird zwischen Flüchtlingen, die einen Rechtsanspruch auf Asyl haben, und Migranten, die keinen solchen Rechtsanspruch haben.

Den reichen Ländern gefällt ausserdem, dass der Pakt der illegalen Migration den Kampf ansagt. Weniger Freude bereitet ihnen, dass er – wenn auch vage – die Menschenrechte der Migranten bekräftigt, soziale Ansprüche formuliert und vor allem, dass er die Wanderungsbewegungen von Menschen grundsätzlich als etwas Gutes, ökonomisch gar Notwendiges darstellt.

Völkerwanderung als Chance oder Gefahr

Im Grund geht es beim Migrationspakt um ein Ringen zwischen Realisten und Utopisten. Mit der Besonderheit, dass letztere ausnahmsweise politisch rechts zu verorten sind. Die Utopisten wollen weniger Zuwanderung als heute und sind überzeugt, dass sich diese stoppen lässt, wenn man nur entschieden genug dagegen vorgeht.

Die Realisten hingegen halten Migration nicht nur für wirtschaftlich vorteilhaft, für sie ist sie schlicht unausweichlich, quasi ein Naturgesetz. Also gehe es einzig noch darum, sie in geordnete Bahnen zu lenken. Die Realisten berufen sich auf die Geschichte, in der es immer wieder Völkerwanderungen gab, die ebenfalls stets zu Problemen, aber auch zu Chancen führten.

Gegner und Unentschlossene

Die Auseinandersetzung zwischen Realisten und Utopisten steht zurzeit unentschieden. Die einen haben den Pakt mit mehr als vier Fünfteln aller UNO-Mitglieder in Marrakesch gutgeheissen, vereinzelt sogar gefeiert. Um die 30 Staaten bleiben aber abseits, einige davon – etwa die Schweiz – zumindest vorläufig.

Von einem Triumph für die internationale Zusammenarbeit kann also keine Rede sein. Der Migrationspakt weist einen schweren Geburtsmakel auf: Er ist nicht universell. Ob er das je wird, hängt davon ab, ob sich die Utopisten, also die Paktgegner, mit der Zeit doch noch von der Nützlichkeit der Vereinbarung überzeugen lassen. Und davon, ob die rechtspopulistische Welle bald wieder abebbt. Bis dahin wird der Migrationspakt die in ihn gesteckten hohen Erwartungen bestenfalls teilweise erfüllen.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

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