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USA und soziale Medien Experte: «Social Media nehmen direkt Einfluss auf die US-Politik»

Für die einen dauerte es zu lange, bis Twitter und Co. gegen die Falschaussagen und Aufwiegelungen des US-Präsidenten vorgingen, für andere verstösst die Sperrung von Trumps Twitterkonto gegen die Meinungsfreiheit. Politik-Professor Joshua Tucker erklärt, welchen Einfluss soziale Medien auf die politischen Prozesse in den USA haben.

Joshua Tucker

Politik-Professor

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Joshua Tucker ist Professor für Politik und Co-Direktor des «Center for Social Media and Politics» der New York University.

SRF News: Vier Jahre Donald Trump als US-Präsident auf Twitter. Inwiefern hat das die US-Demokratie verändert?

Joshua Tucker: Ich sehe zwei Aspekte. Die sozialen Medien haben die Macht, die Wirkungsmöglichkeiten des Präsidenten um ein Vielfaches zu erweitern. Dank Twitter hatte Trump einen direkten Draht zu seinen Wählerinnen und Wählern und war nicht auf die klassischen Medien angewiesen. Das machte es schwieriger, den Präsidenten für seine Aussagen zur Verantwortung zu ziehen oder diese auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Diese Ereignisse haben einen Effekt auf die politischen Geschehnisse in diesen Tagen – aber auch einen langfristigen überall auf der Welt.

Zweitens wurde uns bewusst, wie gross die Macht der Tech-Unternehmen ist. Sie können direkt Einfluss nehmen auf die Politik in den USA. Das haben wir gesehen, als Twitter und andere Plattformen entschieden haben, Trump auszuschliessen. Das hat einen Effekt auf die politischen Geschehnisse in diesen Tagen – aber auch einen langfristigen überall auf der Welt.

Sind die Tech-Unternehmen zu mächtig geworden, sodass es stärkere Restriktionen bräuchte?

Der erste Schritt besteht darin, das Problem zu verstehen: Wie beeinflussen die Unternehmen die Politik oder die Wirtschaft? Dafür brauchen Forscher Daten, die wir im Moment nicht haben. Was sich in den letzten Tagen gezeigt hat: Wenn Tech-Unternehmen Politiker von ihren Plattformen verbannen, hat das enorme Konsequenzen.

Die Tech-Unternehmen spielen die Rolle eines Schiedsrichters. Bräuchte es klare Regeln, wann sie Politiker ausschliessen dürfen und wann nicht?

Ich würde sagen Ja – aber mit Vorbehalten. Grundsätzlich wollen wir doch, dass die Regeln der Demokratie von den Bürgerinnen und Bürgern bestimmt werden, durch den politischen Prozess – und nicht von Unternehmen. Im Übrigen glaube ich, dass auch die Unternehmen kein Interesse daran haben; sie wollen nicht, dass es ihre Aufgabe ist, die Regeln politischer Partizipation festzulegen.

Doch eine Handvoll Unternehmen vereint grosse Macht auf sich.

Genau. Legt nun die Politik Regeln für diese Unternehmen fest, besteht das Risiko, dass die Firmen zu Sprachrohren des Staates werden. Die Regeln würden also nicht in einem demokratischen Prozess ausgehandelt, sondern von der Regierung bestimmt. Das ist eine andere Situation als früher, wo es eine Vielzahl an verschiedenen Medien-Unternehmen gab, die bestimmen konnten, was gezeigt wird.

Erklärt das auch, warum die Unternehmen nicht früher rigoros durchgegriffen haben?

Die Unternehmen befanden sich in einer Zwickmühle. Social Media wollen so unparteiisch sein und von keinem politischen Lager als Feind wahrgenommen werden. Von links kam der Druck, härter gegen Trump vorzugehen. Gleichzeitig waren aber Trump und die Republikaner an der Macht. Für die sozialen Medien stellten sich Fragen wie: Ist es gut für eine Demokratie, einen Politiker von einer Plattform auszuschliessen?

Was der Sturm aufs Kapitol gezeigt hat: Offensichtlich brauchte es ein Ereignis von diesem Ausmass, damit Unternehmen sich bewegen. Die Frage ist, was jetzt passiert: Die Unternehmen haben sich entschieden, einen amtierenden US-Präsidenten auszuschliessen. Was heisst das für die Zukunft? Bleibt das die grosse Ausnahme – oder ist das die neue Norm?

Das Gespräch führte Beat Soltermann.

Echo der Zeit, 13.01.2021, 18:00 Uhr ; 

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