An einem Sonntag im Juli stand Ángela an einem Rotlicht, ohne zu ahnen, dass sich ihr Leben gleich schlagartig verändern würde. Als sie abbog, wurde sie eingekesselt – ein Auto vor, eines neben, eines hinter ihr. Es war die «United States Immigration and Customs Enforcement» (ICE), die US-Immigrationsbehörde.
Ángela – Mitte 40, Mutter zweier Söhne – möchte ihren vollständigen Namen nicht nennen. Was sie an diesem Tag erlebt hat, teilt sie mit Zehntausenden Migrantinnen und Migranten in den USA, die seit der Wahl von Donald Trump von der ICE festgenommen und inhaftiert wurden. Aktuell befinden sich rund 60'000 Personen in Haftanstalten, die der Behörde unterstehen.
Menschenunwürdige Bedingungen
In Ángelas Fall war dies das «ICE Processing Center» in Adelanto, in der Agglomeration von Los Angeles. «Kein Mensch sollte so behandelt werden, wie man uns dort behandelt hat», sagt sie im Gespräch mit Club-Moderatorin Barbara Lüthi.
Ángela kam in den 90er-Jahren aus Mexiko in die USA und führt einen Coiffeursalon. Gültige Aufenthaltspapiere hat sie nicht.
Sie haben mich im ‹freezer› behalten.
Den ersten Tag und die erste Nacht in Adelanto habe sie in einem kalten Raum verbracht: «Sie haben mich im ‹freezer› (Deutsch: Tiefkühler) behalten, wie sie es nennen», so Ángela. Man habe von ihr verlangt, ein Dokument zu unterzeichnen, dessen Inhalt sie nicht verstand. Aus Angst, sie setze ihre Unterschrift unter ihren Ausschaffungsbeschluss, weigerte sie sich. Sie wurde daraufhin in Einzelhaft gesteckt. Ihre Bitte, einen Anwalt oder ihre Kinder anrufen zu dürfen, habe man ausgeschlagen.
Auch nach Aufhebung der Einzelhaft hätten ihr die Haftbedingungen sehr zugesetzt: die ständige Ungewissheit, aber auch das kaum geniessbare Essen, sagt Ángela.
Viele Einrichtungen, die die ICE zur Inhaftierung nutzt, werden von privaten Unternehmen geführt, die entsprechende Verträge mit dem Staat haben. Berichte über menschenunwürdige Zustände werden von verschiedenen Seiten bestätigt – selbst von ehemaligen Angestellten.
Bill Rogers arbeitete von 2016 bis 2020 als Aufseher in einer privat geführten ICE-Haftanstalt in Leavenworth, Kansas. «Man kann sich nicht vorstellen, wie es dort zugeht, wenn man es nicht selbst erlebt hat», erzählt er im Interview mit Barbara Lüthi. «Ich habe deswegen heute noch Albträume.»
Massive Gewalt, auch gegen das Personal
Um möglichst viel Profit zu machen, seien an manchen Tagen nur halb so viele Aufseherinnen und Aufseher im Einsatz gewesen wie eigentlich nötig. Die Folge: massive Gewalt. «Eine Arbeitskollegin wurde niedergestochen und halb totgeprügelt», erinnert sich Rogers.
Ich musste direkt vom Spital zurück zu meiner Schicht.
«Mir schlug ein Insasse ein Essenstablett auf den Kopf. Die Wunde wurde mit 14 Stichen genäht – und ich musste direkt vom Spital zurück zu meiner Schicht.» Die Anstalt in Leavenworth ist seit 2021 geschlossen; ob sie wieder geöffnet werden darf, wird derzeit vor Gericht verhandelt.
Ángela hatte Glück: Sie bekam Rechtshilfe von einer Nichtregierungsorganisation. Nach zwei Monaten durfte sie nach Hause. Die Angst um ihre Söhne sei das Schlimmste gewesen in dieser Zeit: «Ausser mir haben sie niemanden, der sich um sie kümmert. Wäre ich nicht zurückgekommen, wären sie verloren.»