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Verhandlungen USA-Kanada «Ein Scheitern wäre ein Desaster für Kanada»

Die Verhandlungen für ein neues Freihandelsabkommen zwischen den USA und Kanada beginnen am Mittwoch. Der Druck auf Kanada ist hoch, zumal die USA mit dem anderen Nachbarn, Mexiko, eben erst ein neues Abkommen ausgehandelt haben. Journalist Gerd Braune erläutert die Ausgangslage aus kanadischer Sicht.

Gerd Braune

Journalist in Kanada

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Braune lebt seit rund 20 Jahren in der kanadischen Hauptstadt Ottawa. Er berichtet für mehrere Medien in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg.

SRF News: Was erwartet man in Kanada von der neuen Verhandlungsrunde?

Gerd Braune: So angespannt wie die Lage ist, so gespannt sind auch die Kanadier. Auf dem Spiel steht nicht weniger als eine der engsten wirtschaftlichen und politischen Partnerschaften, die es zwischen zwei Ländern gibt.

Hunderttausende passieren täglich die Grenze zwischen den USA und Kanada.

Der Handel hat einen Wert von Billionen, und Hunderttausende passieren täglich die Grenze in beide Richtungen. Nach Monaten der Unsicherheit hoffen die Kanadier nun, dass es endlich Klarheit gibt. Ziel ist eine Verständigung bis Ende September.

Letzte Woche haben sich die USA mit Mexiko geeinigt. Wie sind die Reaktionen in Kanada?

Man hat diese Einigung zunächst mit Überraschung und dann mit grosser Enttäuschung aufgenommen. Es ist schon merkwürdig, dass Kanada von diesen Verhandlungen ausgeschlossen war. Schliesslich ist Nafta ein dreiseitiges Abkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko.

Justin Trudeau vor Anhängern.
Legende: Trudeau muss sich im Herbst 2019 der Wiederwahl stellen. Keystone

Zudem sagen hier viele, Mexiko sei in vielen Punkten eingeknickt. Die Kanadier sind enttäuscht, weil sie es waren, die immer Wert darauf legten, dass die Mexikaner mit am Tisch sind. Die Einigung zwischen den USA und Mexiko hat den Druck auf die Kanadier, jetzt ebenfalls Kompromisse mit den USA zu finden, extrem verstärkt.

US-Präsident Donald Trump hat gesagt, man könne bloss mit Mexiko ein Abkommen schliessen. Wie gross ist die Angst in Kanada, dass das tatsächlich so kommt?

Kanada möchte wie bisher ein dreiseitiges Abkommen. Ob dies funktionieren wird, ist sehr fraglich, weil es eben diese Verständigung zwischen Mexiko und den USA gibt und Trump klar macht, er könne auch ohne die Kanadier. Es ist eine sehr schwierige Lage für Kanada. Trump hat gesagt, er sei nur zu seinen Bedingungen zu einem Abkommen mit dem nördlichen Nachbarland bereit.

Die Einigung zwischen den USA und Mexiko hat den Druck auf die Kanadier, jetzt ebenfalls Kompromisse mit den USA zu finden, extrem verstärkt.

Das ist eine völlige Abkehr von der Art, wie internationale Verhandlungen geführt werden – normalerweise geht es um Kompromisse. Aber das ist mit diesem US-Präsidenten offenbar nicht möglich. Ein völliges Nachgeben ist auch für Kanada undenkbar, das würde Premierminister Justin Trudeau in sehr grosse Schwierigkeiten bringen.

Kanada ist für die USA der wichtigste Exportmarkt. Da könnten die Kanadier selbst Druck aufsetzen.

Für 30 US-Bundesstaaten ist Kanada der grösste Exportmarkt und wichtigste Handelspartner. Trudeau hat immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Scheitern von Nafta erhebliche Folgen für die Arbeitsplätze in diesen Bundesstaaten hätte.

Justin Trudeau mit grossen Papierrollen.
Legende: Trudeau hat für die Verhandlungen eine rote Linie gezogen. Keystone

Aber die USA sind der allerwichtigste Handelspartner für Kanada; rund 70 Prozent der kanadischen Exporte gehen in die USA, zum Beispiel Autos und Autoteile. Der Möglichkeit, zu pokern, sind Grenzen gesetzt, wenn man nicht selbst Arbeitsplätze in grossem Mass gefährden will.

Wo ziehen die Kanadier die rote Linie?

Trudeau hat am Dienstag die Linie gezogen. Dazu gehört etwa das Verfahren für die Beilegung von Streit zwischen den Vertragsstaaten. Bisher können diese sich vor einem extra geschaffenen Gremium wehren, wenn sich ein Partnerland unfair verhält, indem es zum Beispiel Strafzölle erhebt. Für die Kanadier ist es ganz wichtig, dass diese Regelung bestehen bleibt. Ausserdem will Kanada seine kleinen Farmer in der Milch- und der Geflügellandwirtschaft schützen. Die USA hingegen wollen Zugeständnisse von kanadischer Seite.

Wenn Nafta scheitern sollte, wäre das eine ganz schwere Hypothek für Trudeau.

Schliesslich sind da noch die Ausnahmeregelungen für Kulturgüter. Man kann sich in Kanada nicht vorstellen, dass Medien und Kultureinrichtungen wie gewöhnliche Waren behandelt werden und zum Beispiel kanadische Medien von einem US-Unternehmen wie Fox gekauft werden können. Das sind die roten Linien; da kann Trudeau nicht nachgeben.

Wie schlimm wäre es für Kanada, wenn das Abkommen scheitern würde?

Die Rechts- und Handelsexperten auf beiden Seiten sind sich nicht sicher: Tritt, wenn Nafta scheitert, dessen Vorläufer, das frühere amerikanisch-kanadische Freihandelsabkommen, in Kraft? Oder stehen wir vor dem absoluten Nichts? Trump hat gedroht, ohne Abkommen mit Kanada Strafzölle vor allem auf Autos und Autoteile zu verhängen. Das wäre ein Desaster für Kanada. Dabei stehen sehr viele Arbeitsplätze auf dem Spiel. Für Trudeau wäre dieser Fall verheerend.

Trudeau muss im Herbst 2019 um seine Wiederwahl kämpfen. Ist er deswegen eingeschränkt?

Ja. Wenn Nafta scheitern sollte, wäre das eine ganz schwere Hypothek. Das wäre Wahlkampfmunition für die Konservativen. Bereits jetzt liegt Trudeau in vielen Umfragen Kopf an Kopf mit den Konservativen. Er hat wirklich schwere Zeiten vor sich.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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