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39 Prozent auf Schweizer Waren Die schwarze Woche der Karin Keller-Sutter

Sie gilt als die starke Figur im Bundesrat und steht heuer als Bundespräsidentin auch formell ganz oben: Karin Keller-Sutter. Im Zollstreit übernahm sie mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin die Führung. Doch was mit selbstbewusst zur Schau getragener Zuversicht begann, mündete in einem Fiasko.

Für Schweizer Verhältnisse hat Karin Keller-Sutter ein unverkrampftes Verhältnis zur Macht: Sie sucht sie. Sie nutzt sie. Und jetzt: diese Machtlosigkeit dem mächtigsten Mann der Welt gegenüber. Über Weihnachten hat Karin Keller-Sutter Donald Trumps Buch «The Art of the Deal» gelesen, um vorbereitet zu sein. Sie ist häufig besser vorbereitet als die anderen. Doch im April wird auch sie überrumpelt.

Das ist etwa wie eins und eins gibt drei – dass man eine so rudimentäre Berechnung macht, finde ich schade.
Autor: Karin Keller-Sutter Bundespräsidentin

Trump droht der Schweiz einen Zoll von 31 % an, gestützt auf eine abenteuerliche Formel, die Exporte in die Schweiz und Importe aus der Schweiz miteinander verrechnet. Keller-Sutter, die Rationale, ist konfrontiert mit dem scheinbar Irrationalen und sagt: «Das ist etwa wie eins und eins gibt drei – dass man eine so rudimentäre Berechnung macht, finde ich schade.»

Auf erstes Telefonat folgt Zuversicht

Nur wenige Tage später die Überraschung: Die Schweizer Präsidentin kriegt den US-Präsidenten ans Telefon. Sie sagt, sie habe einen Draht gefunden zu Trump. «Der Kontakt ist ein Türöffner gewesen dafür, dass es nachher eine Begegnung mit dem Finanzminister, dass es überhaupt Verhandlungen gegeben hat», sagt Keller-Sutter.

Das Wirtschaftsdepartement von Guy Parmelin schnürt ein Angebot an die USA. Als erstes Land schliesst Grossbritannien einen Zolldeal ab mit Trump – und die Bundespräsidentin strotzt vor Zuversicht: «Es wäre das Ziel, dass wir als Zweiter ins Ziel gehen. Vielleicht werden wir nicht Nummer zwei sein, aber sicherlich in einer ersten Gruppe», so Keller-Sutter.

Bald ist sich die Schweiz mit den zuständigen US-Ministern einig: Ein Zollsatz von 10 % scheint realistisch. Es fehlt nur noch das Ja des US-Präsidenten. Dann verstreichen Tage und Wochen.

Das desaströse zweite Telefonat

Wann beginnt die Bundespräsidentin zu spüren, dass etwas nicht stimmt? Anfang Juli? Mitte Juli? Schliesslich erhält das Wirtschaftsdepartement einen Tipp aus Washington – dass es «hilfreich wäre, wenn ich mit dem Präsidenten telefonieren würde», erzählt Keller-Sutter.

Das Telefongespräch am Vorabend des 1. Augusts wird zum Desaster. Kein Deal, stattdessen 39 % Zoll. Gerüchte machen die Runde – Trump habe die Bundespräsidentin am Telefon als belehrend empfunden.

In Bern tickt die Uhr. Am Montag bessert der Bundesrat sein Angebot nach. Am Dienstag fliegen Keller-Sutter und Parmelin nach Washington. Sie hoffen auf einen Termin im Weissen Haus.

Ich habe sehr wohl zugehört, aber ich habe nicht akzeptiert, dass man sagt, die Schweiz ist für einen Verlust von 40 Milliarden Handelsdefizit verantwortlich.
Autor: Karin Keller-Sutter Bundespräsidentin

Irgendwo über dem Atlantik dürften sie Trumps Interview gesehen haben. Darin erzählt er seine Version des Telefonats. Aus der Bundespräsidentin macht er eine Premierministerin. Er kenne sie nicht und sie habe ihm nicht zugehört. «Ich habe sehr wohl zugehört, aber ich habe nicht akzeptiert, dass man sagt, die Schweiz ist für einen Verlust von 40 Milliarden Handelsdefizit verantwortlich», sagt Keller-Sutter dazu.

Mit leeren Händen zurück in die Schweiz

In Washington hat nur der Aussenminister Zeit für Karin Keller-Sutter und Guy Parmelin. Zurück fliegen sie mit leeren Händen.

Vielleicht hat der US-Präsident die wohlhabende Schweiz jetzt genau dort, wo er sie immer haben wollte: unter Druck, gezwungen, ihr Angebot laufend aufzustocken. Doch «nicht zu jedem Preis», sagt Karin Keller-Sutter. Und man meint, Trotz und eine gewisse Ohnmacht herauszuhören.

Echo der Zeit, 08.08.2025, 18:00 Uhr

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