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Abkommen mit der EU Ärger über «Geheimniskrämerei» beim EU-Vertrag

Bislang dürfen nur ausgewählte Parteienvertreter die 800 Seiten des Vertragswerks unter die Lupe nehmen. Es wird Kritik laut.

Ein separater, sogenannter Reading Room erhitzt derzeit die Gemüter im Bundeshaus. Nur wenige Mitglieder pro Partei dürfen sich dort für gut zwei Stunden den Texten des mit der EU ausgehandelten Abkommens widmen. Ohne Handy, nur Papier und Schreibzeug sind zugelassen.

Einzelne privilegierte Leserinnen und Leser waren schon drin und haben unter anderem ihre Tricks geschildert, wie man etwa 800 Seiten auf Englisch in rund zwei Stunden lesen kann.

Es ist unverständlich – die breite Öffentlichkeit weiss immer noch nicht, was in den Vertragsdokumenten steht.
Autor: Thomas Aeschi Fraktionschef der SVP im Bundeshaus

So gebe es viele Wiederholungen in den Texten, sagt Thomas Aeschi von der SVP. «Die Texte über die institutionelle Anbindung etwa werden in jedem Vertragspaket wiederholt.»

Keine inhaltlichen Details des Vertrags

Details dürfen die ausgewählten Leser nicht verraten, sie sind ans Amtsgeheimnis gebunden. Das ist im Parlamentsgesetz so festgeschrieben. Die SVP allerdings findet das Gelesene «noch schlimmer als befürchtet» – und sie ärgert sich über die Geheimniskrämerei, die rund um die Verträge gemacht werde.

Zwei Personen halten bei einer Pressekonferenz Reden vor Mikrofonen.
Legende: Am Mittwoch haben Thomas Aeschi (links) und Magdalena Martullo-Blocher nach ihrer Begutachtung der 800 Seiten Vertragswerk die Medien darüber informiert. Ohne Details zu nennen, hiess es, die Verträge seien «noch schlimmer als befürchtet». Keystone / Alessandro della Valle

Aussenminister Ignazio Cassis habe das Gegenteil versprochen, sagt Fraktionschef Aeschi: Statt transparenten Prozessen und schneller Information passiere jetzt das Gegenteil. «Das ist unverständlich – die breite Öffentlichkeit weiss immer noch nicht, was in den Vertragsdokumenten steht.»

Das Aussendepartement des kritisierten Bundesrats Cassis schreibt, der vorgezogene, aber beschränkte Zugang zu den Texten sei aufgrund von Anfragen aus dem Parlament eingerichtet worden.

Grösstmögliche Transparenz gefordert

Einige Parteien sehen die privilegierte Lesemöglichkeit jedoch kritisch. Und manche halten sich bedeckt. FDP und Mitte sagen bisher nicht, ob sie schon Einsicht nehmen konnten.

Der Fraktionschef der Mitte, Philipp Bregy, hat dabei eine klare Haltung zum selektiven Zugang. «Wir brauchen grösstmögliche Transparenz – um eine gute und konstruktive Diskussion führen zu können.»

Ich werde wohl einer der wenigen Menschen sein, die den ganzen Text qua Beruf werden lesen müssen.
Autor: Cédric Wermuth SP-Nationalrat und Co-Parteipräsident

Die Sozialdemokraten ihrerseits haben den Bundesrat im letzten Dezember noch kritisiert, dass er die Texte nach Abschluss der Verhandlungen nicht öffentlich machte. Jetzt aber hat SP-Nationalrat und Co-Parteichef Cédric Wermuth diese Vorbereitungsmöglichkeit geschätzt, zumindest 800 Seiten lesen zu können.

Vollständiger Vertragstext als Sommerlektüre

Schliesslich müsse er als Co-Parteipräsident bald das ganze Werk inklusive Erklärungen lesen. Das sind etwa 1800 Seiten. «Ich werde wohl einer der wenigen Menschen sein, die das qua Beruf werden machen müssen», so Wermuth.

Vielleicht werden ja bald alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier Zugang erhalten. Die aussenpolitische Kommission des Nationalrats hat bei Bundesrat Cassis entsprechend interveniert. Gemäss Medienberichten will der Aussenminister die Aufregung um den exklusiven Reading Room nächste Woche im Gesamtbundesrat diskutieren.

Und: Noch vor den Sommerferien will der Bundesrat die Vernehmlassung zu den Verträgen mit der EU eröffnen – und dabei auch den gesamten Text der Abkommen für alle frei zugänglich machen.

Echo der Zeit, 8.5.2025, 18:00 Uhr; wilh

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