Mit fast 58 Prozent hat das Stimmvolk den Eigenmietwert abgeschafft. Es sei eine Umverteilungsvorlage, doch Mieterinnen und Mieter seien nicht direkt geschädigt worden, stellt der ehemalige SP-Nationalrat und frühere Preisüberwacher Rudolf Strahm fest. Er beschreibt die drängendsten Herausforderungen.
SRF News: Schon während Ihrer Zeit im Mieterverband gab es Versuche, den Eigenmietwert abzuschaffen. Warum hat es nun im vierten Anlauf geklappt?
Rudolf Strahm: Diese Vorlage war ausgewogener und vielleicht auch fairer und stellt einen ziemlich vollständigen Systemwechsel dar. Frühere Vorlagen schafften zwar den Eigenmietwert ab, liessen aber immer noch Abzüge für Zinsen und Renovationskosten zu. Entsprechend war diesmal die Gegnerschaft nicht sehr stark. Die Hauseigentümerschaft wurde gut mobilisiert. Vor allem dort, wo deren Anteil sehr hoch ist, wie neuste Umfragen zeigen. Und nicht zuletzt: Für viele Mieterinnen und Mieter ist der Eigenmietwert ein sehr ferner Begriff.
Es ist eine Umverteilungsvorlage, aber direkt kann man die Mieter nicht als Geschädigte betrachten.
Die SP schrieb in einer Reaktion von einer «schlechten Nachricht» für Mieterinnen und Mieter. Ist das so?
So direkt würde ich das nicht sagen. Mieterinnen und Mieter gewinnen nichts, aber sie verlieren direkt auch nichts. Indirekt, also bezogen auf das gesamte Steuersystem, muss aber jemand die zwei Milliarden Franken an Steuerausfällen bezahlen. Insofern hilft der Wegfall des Eigenmietwerts den Besserbetuchten und jenen mit hohen steuerbaren Einkommen, wo der Eigenmietwert progressiv wirkte. Es ist also eine Umverteilungsvorlage, aber direkt kann man die Mieter nicht als Geschädigte betrachten. Das Unschöne am Ganzen: Beim Hauptproblem, den hohen Mietzinsen in den Hotspots der Regionen, passiert nichts.
Wenn das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage derart gross ist, kann auch ein gutes Mietrecht nicht vor Preissteigerungen schützen.
Sind nun wieder Mieterinnen und Mieter an der Reihe, wie das die SP fordert? Schützt sie das Mietrecht nicht genug?
Es gibt zwar Regeln für Mietpreiserhöhungen und Transparenz. Doch wenn das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage derart gross ist, kann auch ein gutes Mietrecht nicht vor Preissteigerungen schützen. Entsprechend müssen die Wohnungspreise auf der Angebots- und Nachfrageseite angegangen werden. Zwei runde Tische mit Bundesrat Guy Parmelin sind bisher gescheitert, der letzte im Mai. Nun braucht es aus meiner Sicht als «Veteran» Kompromisse von beiden Seiten, sonst wirkt sich das bei späteren Abstimmungen aus.
Wie könnte das Problem des zu kleinen Wohnungsangebots gelöst werden?
Da gibt es verschiedene Elefanten im Raum. Einer betrifft die sehr vielen Einsprachen und Rekurse. Heute befassen sich vier verschiedene Bundesämter mit Bewilligungen. Diese sind langwierig und werden oft durch Rekurse und teils missbräuchliche Einsprachen verzögert. Es braucht also eine Verkürzung der Verfahren. Ein weiterer Elefant ist die demografische Entwicklung in den Hotspots vieler Kantone. Sogar der Direktor des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) nennt die Zuwanderung als wichtigen Treiber.
Eine Erhebung des BWO zeigt, dass 60 Prozent der Haushaltsgründungen in den letzten zehn Jahren mit der Zuwanderung zusammenhängen.
Eine Erhebung des BWO zeigt, dass 60 Prozent der Haushaltsgründungen in den letzten zehn Jahren mit der Zuwanderung zusammenhängen. Das darf man nicht ausblenden. Dazu müsste auch die Linke bereit sein. Gefragt ist aber auch der Bundesrat mit der Baulandpolitik und der Raumplanung. Man kann in einem Land wie der Schweiz nicht jedes Jahr netto 60’000 bis 80'000 Zuwanderung haben, ohne auch in der Wohnbaufrage entsprechende Möglichkeiten für Neubauten zu schaffen.
Das Gespräch führte Dominik Rolli.