Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Befugnisse des Bundesrats «Verordnungen bedeuten: keine Mitsprache für Stimmberechtigte»

Ob Wolfsabschuss oder Tempo 30, mit Verordnungen kann der Bundesrat über die Köpfe der Bevölkerung hinweg Entscheidungen fällen. Ob er damit seine Befugnisse überreizt, weiss Andreas Glaser von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich.

Andreas Glaser

Staatsrechtsprofessor

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Andreas Glaser ist Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht unter besonderer Berücksichtigung von Demokratiefragen an der Universität Zürich und am Zentrum für Demokratie (ZDA) in Aarau.

SRF News: Wie entsteht eine Verordnung?

Andreas Glaser: Das Parlament erlässt ein Gesetz, welches den Bundesrat mit sogenannten Verordnungsermächtigungen dazu auffordert, detaillierte Regelungen zu erlassen. Der Bundesrat erarbeitet Verordnungen und beschliesst sie per Mehrheitsprinzip.

Diese zwei Verordnungen kamen vom Uvek

Box aufklappen Box zuklappen

Jagdschutzverordnung

Die revidierte Jagdschutzverordnung des Uvek nahm den Wolfsabschuss ins Visier. Der Bundesrat ermöglichte es, ganze Rudel abzuschiessen – und zwar präventiv, also ohne dass die Wölfe Nutztiere wie Schafe oder Rinder gerissen haben.

Naturschutzorganisationen habe sich gegen die Verordnung aufgelehnt, da sie zu weit gehe.

Verordnung über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen

Auch zum Streitthema Tempo 30 wurde vom Uvek eine Verordnung erlassen, die es erschwert, auf verkehrsorientierten Strassen Tempo 30-Zonen einzuführen.

Die Verordnung führte zu Kritik seitens des Gemeinde- und Städteverbands, sowie dem Verkehrsclub der Schweiz (VCS).

Was müsste man machen, um eine Verordnung ausser Kraft zu setzten?

Ein Vetorecht für das Parlament wurde oft diskutiert, kam aber nie zustande. Das Parlament muss also das Gesetz ändern. Im Gegensatz zur Verordnung, die sehr schnell geht, ist das ein langwieriger und politisch steiniger Weg.

Man kann sich bei einer auf der Grundlage der Verordnung erlassenen Verfügung auch auf dem Rechtsmittelweg indirekt wehren und prüfen lassen, ob sich der Bundesrat an den Rahmen des Gesetzes hält. Diese Abgrenzung ist jedoch ungenau und schwierig nachzuweisen. Das könnte in letzter Instanz vor Bundesgericht enden.

Letztlich ist es immer ein politischer Entschied, für den der Bundesrat geradestehen muss.

Überreizt der Bundesrat seine Befugnisse, wenn er immer mehr Verordnungen beschliesst?

Verordnungen sind immer unterschiedlich, man müsste das einzeln betrachten. Man kann aber sagen, dass das Uvek dieses Instrument in letzter Zeit häufig braucht. Es ist jedoch immer der gesamte Bundesrat, der darüber entscheidet. Oft sind Verordnungen auch Reaktionen auf parlamentarische Vorstösse. So auch die Verordnung zum Tempo 30. Letztlich ist es immer ein politischer Entschied, für den der Bundesrat geradestehen muss.

Konferenz in historischem Raum mit Kronleuchter und Holzvertäfelung.
Legende: Verordnungen werden im Sitzungszimmer des Bundesrats besprochen und nach dem Mehrheitsprinzip entschieden. Keystone/Peter Klaunzer

Welche Gefahren birgt der übermässige Gebrauch von Verordnungen?

Seit der Pandemie haben die Regulierungen auf Verordnungsebene zugenommen. Treiber ist einerseits das Parlament, welches vermehrt mit Verordnungsermächtigungen arbeitet, andererseits auch Umstände wie technische Entwicklungen oder die bilateralen Verträge mit der EU, bei denen die Umsetzung über Verordnungen läuft. Dadurch findet eine gewisse Verschiebung der Wichtigkeit Richtung Bundesrat statt. Eine Grenze, bei der man sagen kann, da wird es bedenklich, gibt es aber nicht.

Verordnungsbestimmungen heisst: keine Mitsprache für Stimmberechtigte.

Diese Entwicklung könnte aber Anlass bieten, die verfassungsrechtlichen Grundlagen zu überdenken. Man müsste sich fragen, wie viel das Parlament regeln soll und wie viel der Bundesrat. Der Haken bei der Verordnung ist, dass nur das vom Parlament erlassene Gesetz dem Referendum untersteht und die Verordnung des Bundesrates nicht. Verordnungsbestimmungen heisst: keine Mitsprache für Stimmberechtigte. So kann der Bundesrat Interessen auf Verordnungsebene durchsetzen, die möglicherweise beim Volksentscheid keine Chance hätten.

Wann sind Verordnungen gerechtfertigt?

Man kann das grob in drei Bereiche aufteilen. Beim ersten Bereich ist es unumstritten, dass die Regulierung durch Verordnungen stattfinden. Das ist der Fall, wenn es um technische oder wissenschaftliche Materien geht. Diese verändern sich schnell und somit muss auch die Rechtsetzung schnell sein.

Dann gibt es Bereiche, bei denen das Parlament ausdrücklich beschlossen hat, dass der Bundesrat die Details klärt. Das können etwa Verordnungen über gewisse Grenzwerte im Umweltrecht sein.

Der letzte Bereich umfasst Grundsatzfragen im Bereich des Notrechts, wie die Rettung der Credit Suisse. Dieser ist zahlenmässig ein kleiner Bereich, aber politisch umso heikler.

Das Gespräch führte Lorenz Stöckli.

SRF 4 News, 17.09.2025, 14 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel