Ob Wolfsabschuss oder Tempo 30, mit Verordnungen kann der Bundesrat über die Köpfe der Bevölkerung hinweg Entscheidungen fällen. Ob er damit seine Befugnisse überreizt, weiss Andreas Glaser von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich.
SRF News: Wie entsteht eine Verordnung?
Andreas Glaser: Das Parlament erlässt ein Gesetz, welches den Bundesrat mit sogenannten Verordnungsermächtigungen dazu auffordert, detaillierte Regelungen zu erlassen. Der Bundesrat erarbeitet Verordnungen und beschliesst sie per Mehrheitsprinzip.
Was müsste man machen, um eine Verordnung ausser Kraft zu setzten?
Ein Vetorecht für das Parlament wurde oft diskutiert, kam aber nie zustande. Das Parlament muss also das Gesetz ändern. Im Gegensatz zur Verordnung, die sehr schnell geht, ist das ein langwieriger und politisch steiniger Weg.
Man kann sich bei einer auf der Grundlage der Verordnung erlassenen Verfügung auch auf dem Rechtsmittelweg indirekt wehren und prüfen lassen, ob sich der Bundesrat an den Rahmen des Gesetzes hält. Diese Abgrenzung ist jedoch ungenau und schwierig nachzuweisen. Das könnte in letzter Instanz vor Bundesgericht enden.
Letztlich ist es immer ein politischer Entschied, für den der Bundesrat geradestehen muss.
Überreizt der Bundesrat seine Befugnisse, wenn er immer mehr Verordnungen beschliesst?
Verordnungen sind immer unterschiedlich, man müsste das einzeln betrachten. Man kann aber sagen, dass das Uvek dieses Instrument in letzter Zeit häufig braucht. Es ist jedoch immer der gesamte Bundesrat, der darüber entscheidet. Oft sind Verordnungen auch Reaktionen auf parlamentarische Vorstösse. So auch die Verordnung zum Tempo 30. Letztlich ist es immer ein politischer Entschied, für den der Bundesrat geradestehen muss.
Welche Gefahren birgt der übermässige Gebrauch von Verordnungen?
Seit der Pandemie haben die Regulierungen auf Verordnungsebene zugenommen. Treiber ist einerseits das Parlament, welches vermehrt mit Verordnungsermächtigungen arbeitet, andererseits auch Umstände wie technische Entwicklungen oder die bilateralen Verträge mit der EU, bei denen die Umsetzung über Verordnungen läuft. Dadurch findet eine gewisse Verschiebung der Wichtigkeit Richtung Bundesrat statt. Eine Grenze, bei der man sagen kann, da wird es bedenklich, gibt es aber nicht.
Verordnungsbestimmungen heisst: keine Mitsprache für Stimmberechtigte.
Diese Entwicklung könnte aber Anlass bieten, die verfassungsrechtlichen Grundlagen zu überdenken. Man müsste sich fragen, wie viel das Parlament regeln soll und wie viel der Bundesrat. Der Haken bei der Verordnung ist, dass nur das vom Parlament erlassene Gesetz dem Referendum untersteht und die Verordnung des Bundesrates nicht. Verordnungsbestimmungen heisst: keine Mitsprache für Stimmberechtigte. So kann der Bundesrat Interessen auf Verordnungsebene durchsetzen, die möglicherweise beim Volksentscheid keine Chance hätten.
Wann sind Verordnungen gerechtfertigt?
Man kann das grob in drei Bereiche aufteilen. Beim ersten Bereich ist es unumstritten, dass die Regulierung durch Verordnungen stattfinden. Das ist der Fall, wenn es um technische oder wissenschaftliche Materien geht. Diese verändern sich schnell und somit muss auch die Rechtsetzung schnell sein.
Dann gibt es Bereiche, bei denen das Parlament ausdrücklich beschlossen hat, dass der Bundesrat die Details klärt. Das können etwa Verordnungen über gewisse Grenzwerte im Umweltrecht sein.
Der letzte Bereich umfasst Grundsatzfragen im Bereich des Notrechts, wie die Rettung der Credit Suisse. Dieser ist zahlenmässig ein kleiner Bereich, aber politisch umso heikler.
Das Gespräch führte Lorenz Stöckli.