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Bern im Bundesratsfieber Da war ja noch was: die Wintersession

Falls Sie es im medialen Gewitter verpasst haben sollten: In Bern wurden in den letzten Wochen nicht nur Bundesräte gewählt, sondern auch Sachgeschäfte verhandelt. Ein Rückblick.

Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren.

Unheilvoll und schicksalsschwer prangen die Worte aus Dantes «Göttlicher Komödie» am Tor zur Hölle. Weniger furchteinflössend ist der Empfang an der Pforte zum Bundeshaus:

Das Bundeshaus von vorne betrachtet
Legende: Curia Confoederationis Helveticae («Rathaus der Schweizerischen Eidgenossenschaft»): Ein sachdienlicher Hinweis, der kaum jemandem einen Schrecken durch die Glieder fahren lässt. Keystone/Peter Klaunzer

Und doch warten auch in den heiligen Hallen der Schweizer Demokratie Dinge, die einen zermürben können. Zumindest, wenn man dem scheidenden Bundesrat Alain Berset glaubt.

Der Abschied

Die zwanzig Jahre im Bundeshaus – acht davon als Ständerat und zwölf als Bundesrat – liessen Berset nachdenklich zurück. Die drei ersten Bundespräsidenten der Eidgenossenschaft seien im Amt verstorben, erklärte der amtierende Bundespräsident in seiner Abschiedsrede.

Es sei nicht immer einfach gewesen, diese herausfordernde Tätigkeit auszuüben, so der sichtlich bewegte Magistrat.

All das hat offensichtlich Spuren hinterlassen. «Zu Lebzeiten abtreten zu können, ist eine ziemlich erfreuliche Sache», beendete Berset seine Rede mit einem Schmunzeln. Die ernsten Mienen seiner Bundesratskollegen lösten sich, und die Bundesversammlung verabschiedete den erst 51-jährigen Politveteranen mit stehenden Ovationen.

Der Seitenhieb

Für die 54 Neulinge im Parlament war Bersets Abschied einer der emotionalen Höhepunkte einer Session, die mitunter harte Kost bot: Denn wie immer an der Wintersession wurde während zahlloser Stunden über das Budget für das kommende Jahr verhandelt – traditionell eine Zangengeburt. Mit einer «Fahne» (den Geschäftsunterlagen) so schwer wie der Unspunnenstein.

SP-Nationalrätin Farah Rumy.
Legende: Zum Zuschauen verdammt? Ein ungeschriebenes (und nicht streng befolgtes) Gesetz besagt, dass neugewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier an ihrer ersten Session nicht ans Rednerpult treten. Im Bild: Die neue SP-Nationalrätin Farah Rumy. Keystone/Peter Klaunzer

Anna Rosenwasser nutzte ihre erste Session auch dazu, ihren Followern intime Einblicke ins Bundeshaus zu geben. Am vergangenen Mittwoch verlor sich die frischgewählte SP-Nationalrätin allerdings im Dickicht der Traktandenliste.

Sie verwechselte die Richterwahlen mit der Berufung von Politikerinnen und Politikern in die Gerichtskommissionen der Räte. Letzteres ist Sache der Fraktionen und wird nicht durch die Bundesversammlung bestimmt. Eine Steilvorlage für SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi, der seine Ratskollegin auf der anderen Seite des Saals prompt korrigierte.

Die Schuldenbremser

Abseits von solchen Sticheleien wurde auch um Inhalte gerungen. So rief Markus Ritter den Nationalrat in den Untiefen der Budgetdebatte zur Räson. Denn die Haushaltsdisziplin wackelte zwischenzeitlich gewaltig. Der Tenor: Sparen ja, aber nicht bei meiner Klientel.  

Dadurch drohte die Schuldenbremse geritzt zu werden. Diese soll dafür sorgen, dass der Staat über einen bestimmten Zeitraum nicht mehr ausgibt, als er einnimmt. Der Mitte-Politiker appellierte an den Nationalrat – und drohte: Wenn sich keine Einigung finde, würde die ganze Arbeit wieder von vorne losgehen.

Dem Präsidenten des mächtigen Bauernverbands gelang ein Wirkungstreffer. Mit einer Kreativlösung – der Nationalrat kürzte bereits gesprochene Gelder für den Bahninfrastrukturfonds – war das Budget wieder schuldenbremsenkonform. Am Ende wurde der Totalabsturz verhindert und die Räte einigten sich in letzter Minute auf das Budget 2024.

Die erste Session nach der «Korrekturwahl mit Rechtsdrall» bot daneben viel Stoff für Politseismographen. Ihre Leitfrage: Machen sich die tektonischen Verschiebungen von links nach rechts bereits im neu zusammengestellten Parlament bemerkbar?

In Umweltfragen musste das ökologische Lager tatsächlich unten durch: Zur Biodiversitätsinitiative gibt es keinen Gegenvorschlag , der einige ihrer Kernanliegen berücksichtigt hätte. Beim neuen CO₂-Gesetz lautet die Devise «nicht mutig, aber machbar» .

Die Mehrheitsbeschafferin

Gleichzeitig blitzten FDP und SVP mit einem härteren Asylkurs ab – die Mitte spannte in dieser Frage mit der Linken zusammen. Die linke Forderung, Transparenz bei Mietpreisen zu schaffen, fiel dagegen durch – die Mitte paktierte hier mit der Ratsrechten. Den Versuch von FDP und SVP, den Atomausstieg rückgängig zu machen , vereitelte die Mitte wiederum gemeinsam mit der Ratslinken.

So zeigte sich: Die Mitte-Partei dürfte in dieser Legislatur noch häufiger das Zünglein an der Waage spielen. Und das geschwächte links-grüne Lager dürfte verstärkt versuchen, mit Referenden Gegensteuer zu geben – so etwa gegen den Autobahn-Ausbau oder die Lockerung von Waffenexporten , die an dieser Session beschlossen wurden.

Echo der Zeit, 21.12.2023, 18 Uhr;kobt

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