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Brand in Moria Keller-Sutter: «Städte können nicht direkt Personen aufnehmen»

Nach den verheerenden Bränden im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist die Betroffenheit international gross. Auch die Schweiz leistet humanitäre Hilfe vor Ort und erklärt sich bereit, weiterhin unbegleitete Minderjährige aufzunehmen. Ausserdem brauche es dringend eine Reform des Dublin-Systems, damit man Personen schnell wieder in ihre Heimat zurückführen könne, erklärt Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Interview.

Karin Keller-Sutter

Bundesrätin

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Karin Keller-Sutter ist seit dem 1. Januar 2019 Mitglied des Bundesrats und seit 2023 Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD). Die St. Gallerin wurde 1963 geboren, ist ausgebildete Dolmetscherin und Mittelschullehrerin. Bis 2000 arbeitete sie als selbständige Übersetzerin und Lehrbeauftragte einer Berufsschule. Von 2000 bis 2012 war die FDP-Politikerin Regierungsrätin des Kantons St. Gallen. Von 2011 bis zu ihrer Wahl in den Bundesrat war Keller-Sutter im Ständerat.

SRF News: Viele Gemeinden, Städte und Organisationen fordern, dass die Schweiz jetzt Flüchtlinge aufnimmt. Wie können Sie da Hand bieten?

Karin Keller-Sutter: Für uns steht im Moment die Hilfe vor Ort im Vordergrund. Das EDA und mein Departement stehen seit gestern Morgen in Kontakt mit den griechischen Behörden. Wir haben humanitäre Hilfe angeboten; Zelte, Decken, Medikamente. Das ist jetzt das Erste, was man machen muss, dass diese Leute auch eine Unterkunft haben und medizinisch betreut werden.

Aber wenn jetzt einzelne Städte sagen, aus humanitären Gründen müssen wir einzelne Leute, die in dieser katastrophalen Situation sind, aufnehmen: Warum wollen Sie ihnen das verbieten?

Dafür gibt es keine rechtliche Grundlage. Es ist so, dass im Asylverfahren Personen über den Bund in die Schweiz kommen. Es ist nicht möglich, dass die Städte direkt Personen aufnehmen können. Ich habe gesagt: Für uns im Vordergrund steht die humanitäre Hilfe vor Ort. Aber die zweite Schiene ist, dass wir unbegleitete Kinder aus Griechenland in die Schweiz geholt haben.

Minderjährige, die ohne Eltern, ohne Erwachsene unterwegs sind – das sind die verletzlichsten Personen.

Wir haben die griechischen Behörden unterstützt. Dieses Angebot läuft weiter, wir sind selbstverständlich bereit, dass sich die Schweiz dort wieder beteiligt. Es gibt ja zum Beispiel diese 400 unbegleiteten Minderjährigen, die auf das Festland geführt wurden, diese Kinder, die ohne Eltern, ohne Erwachsene unterwegs sind – das sind die verletzlichsten Personen.

Das Lager in Moria ist für 2500 Personen gebaut, es befinden sich aber mehr als 12'000 dort. Es sind fürchterliche Verhältnisse. Zeigt das nicht das Scheitern der ganzen EU-Flüchtlingspolitik?

Diese Missstände sind nicht erst seit diesem Brand, sondern schon länger bekannt. Und sie sind Ausfluss einer mangelnden Bewältigung der Asylverfahren in Griechenland selbst. Die neue Regierung hat versucht, die Verfahren zu beschleunigen, aber das funktioniert noch nicht.

Die Schweiz und auch andere europäische Staaten setzen sich seit Jahren dafür ein, dass es eine Reform des Dublin-Systems gibt. Namentlich, dass an den Aussengrenzen wie in Griechenland die Verfahren geführt werden und dass es eine gemeinsame Rückführungspolitik der EU-Staaten und auch der assoziierten Staaten wie der Schweiz gibt. Dass man also direkt von der Aussengrenze die Personen wieder in ihre Heimat zurückführt. Das ist jetzt aufgegleist. Es wird in den kommenden Tagen Vorschläge der EU-Kommission in dieser Hinsicht geben.

Das Gespräch führte Urs Leuthard.

Tagesschau, 10.09.2020, 19:30 Uhr ; 

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