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Demos von Corona-Skeptikern «Polizei ist bei solchen Demonstrationen machtlos»

Tausende Personen demonstrierten am Wochenende in Rapperswil gegen die Corona-Massnahmen – ohne Bewilligung. Dennoch liess sie die Polizei gewähren. Es ist nicht die erste Kundgebung dieser Art. Polizeirechtsexperte Markus Mohler erläutert die Schwierigkeiten für die Polizei bei solchen Einsätzen.

Markus Mohler

Ehemaliger Polizeikommandant

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Markus Mohler war Kommandant der Basler Kantonspolizei. Er ist Experte für Strafrecht und war Lehrbeauftragter an den Universitäten Basel und St. Gallen.

SRF News: Warum liess die Polizei in Rapperswil die Demonstrantinnen und Demonstranten gewähren?

Markus Mohler: Diese Frage können nur die Verantwortlichen der Polizei beantworten. Es ist aber offenkundig, dass mit Mitteln, die eine Verletzung von Personen ausschliessen, die Polizei gegen derartige Massenaufmärsche nicht viel ausrichten kann.

Eine gewisse Menschenmasse genügt, um die polizeilichen Möglichkeiten stark einzuschränken.

Gesetzesverstösse wie Versammlung ohne Bewilligung oder Verstösse gegen Pandemie-Vorschriften sind geringfügige Straftaten. Da erlaubt es das Verhältnismässigkeitsprinzip nicht, die körperliche Unversehrtheit durch polizeiliche Interventionen zu beeinträchtigen.

In der Schweiz ging man bisher davon aus, dass sich der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung an die gesetzlichen Vorschriften hält. Dem ist gesamthaft gesehen wohl weitgehend immer noch so. Doch bei Demonstrationen ohne grosse Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen genügt eine gewisse Menschenmasse, um die polizeilichen Möglichkeiten stark einzuschränken.

Was hat die Polizei grundsätzlich für Möglichkeiten, um nicht bewilligte Demonstrationen von vornherein zu verhindern?

Sie kann deeskalieren, Personen wegweisen oder einen Ort sperren. Geht es um «Demonstrationen», bei denen im Voraus zu Gewalt aufgerufen wird, wie kürzlich in St. Gallen, ist auch der Einsatz von Zwangsmitteln wie Gummigeschossen oder Tränen-Reizstoff möglich. Man muss daran erinnern, dass nur friedliche Versammlungen vom Grundrechtsschutz der Versammlungsfreiheit erfasst werden.

Welche Punkte fliessen in die Abwägung ein, ob die Auflösung einer unbewilligten Demonstration verhältnismässig ist?

Das zu schützende Rechtsgut einerseits und die Auswirkungen der notwendigen Massnahmen zu dessen Schutz. Wobei polizeiliche Massnahmen laut Bundesgericht nicht einfach mit dem Schutz der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit begründet werden können, ohne dass diese «Schlagworte» genauer spezifiziert werden. Es muss klar sein, was genau zu schützen ist. So wird bestimmt, welcher Polizeieinsatz verhältnismässig ist. Das kann sich laufend verändern.

Vier Polizisten
Legende: Ab einer gewissen Menschenmasse könne die Polizei Demonstrationen kaum mehr stoppen, sagt Polizeirechtsexperte Markus Mohler. Im Bild Polizistinnen und Polizisten am Samstag in Rapperswil. Keystone

Einige Kantone scheinen strikter gegen Kundgebungen vorzugehen als andere. In Zürich wurde im März eine Demonstration von einigen hundert Feministinnen von der Polizei aufgelöst. Wie sind die kantonalen Unterschiede zu erklären?

Generell ist diese Frage, gerade in Pandemiezeiten, nicht zu beantworten. Hier spielt auch die politische Gewichtung der vorgesetzten Behörden, insbesondere punkto Pandemie-Bekämpfung, eine Rolle. Ebenso aber die überhaupt verfügbaren personellen Ressourcen der Polizei.

Es gibt auch Beispiele von bewilligten Demonstrationen, etwa in Liestal vor einigen Wochen, wo sich dann aber kaum jemand an Schutzvorschriften hielt. Welche Möglichkeiten hat die Polizei in einem solchen Fall, um einzuschreiten?

In Liestal waren es rund 6000 Personen. Da ist die Polizei hierzulande buchstäblich machtlos. Wir haben weder die rechtlichen noch faktischen Mittel, um derartige Massen zu kontrollieren oder aufzulösen. Das ist auch gut so. Es handelt sich aber nicht mehr um ein polizeiliches, sondern ein staatspolitisches Problem. Es geht um die Respektierung der Rechtsordnung. Dafür ist die Legitimität von Bestimmungen eine Voraussetzung. Die Legitimität einer rechtlichen Bestimmung wird durch den Sinngehalt, die Akzeptanz und die Verhältnismässigkeit bestimmt.

Trotz weitgehender Demokratie scheinen auch Teile der Schweizer Bevölkerung bis zu einem gewissen Grad unregierbar geworden zu sein

Wenn Bestimmungen nicht mehr akzeptiert werden, obwohl sie sinnvoll und verhältnismässig sind, haben wir ein Problem. Das ist in der (halb)direkten Demokratie besonders kurios, da ja demokratische Möglichkeiten bestehen, die Rechtsgrundlagen zu ändern. So hat aber das Volk das Epidemiegesetz 2016 mit über 60 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Und nun will man das trotzdem nicht. Wo bleibt da das demokratische Rechtsverständnis?

Trotz weitgehender Demokratie scheinen auch Teile der Schweizer Bevölkerung bis zu einem gewissen Grad unregierbar geworden zu sein, sobald nicht das Maximum an Freiheit garantiert ist. Das Verständnis dessen, was individuelle Freiheit bedeutet, wo ihre Grenzen sind, ist drastisch geschmolzen. Dass die Freiheit nur so weit geht, bis sie an jene der Allgemeinheit stösst, wird mehr und mehr in Grundrechts-missbräuchlicher Weise ignoriert oder gar geleugnet.

Es ist auch an Art. 6 der Bundesverfassung zu erinnern: «Individuelle und gesellschaftliche Verantwortung. Jede Person nimmt Verantwortung für sich selber wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei».

Zeigen die Demonstrationen der vergangenen Wochen auch, dass Kundgebungen – ob bewilligt oder nicht – sowieso durchgeführt werden können, wenn man nur genug Leute zusammenbringt?

Ja, das ist weitgehend so.

Das schriftliche Interview führte Andreas Reich.

SRF 4 News, 24.04.2021, 16:00 Uhr ; 

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