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Der Fall Gottfried Locher «Es gibt einen Graubereich, der nicht tolerabel ist»

Was steckt hinter den Vorwürfen gegen Gottfried Locher? Warum trat der Präsident der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) Ende Mai zurück? Diese Fragen beschäftigen die EKS – und haben sie in eine Krise gestürzt. Am Montag hat die Synode, das Parlament der Kirche, getagt.

Dabei kamen neue Enthüllungen zutage über eine Affäre des Präsidenten mit einem Mitglied der Kirchenleitung, welches die Vorwürfe gegen ihn untersuchen sollte. Die Aufarbeitung dieser Verstrickungen stehe erst am Anfang, sagt die evangelische Theologin Isabelle Noth.

Isabelle Noth

Evangelische Theologin

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Noth ist Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der Universität Bern.

SRF News: Was ist in der Evangelisch-reformierten Kirche los?

Isabelle Noth: Es ist schwierig, nur einen Tag nach der Synode eine Analyse zu liefern. Im Moment kann das niemand. Die Angelegenheit ist sehr komplex, mit vielen Ebenen und menschlichen Verstrickungen, sodass es jetzt sehr viel Sorgfalt und Besonnenheit braucht, um die Geschichte aufzuarbeiten.

Geht es um menschliches Fehlverhalten oder um strukturelle Probleme?

Ich glaube, das kann man nicht voneinander trennen. Man hat gesehen, wie Besetzungen, Interessenkonflikte und Abhängigkeiten selbstverständlich auch innerhalb der Strukturen eine Rolle spielen.

Co-Präsidium für die Nachfolge Lochers?

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Gottfried Locher
Legende: Keystone

Der dreimal wiedergewählte Gottfried Locher präsidierte die Evangelisch-reformierte Kirche seit Anfang 2011. Die Theologieprofessorin Isabelle Noth fragt sich, ob man mit einem Mann an der Spitze, einer Repräsentationsfigur mit einer starken Persönlichkeit, nicht in eine patriarchale Falle getappt sei. Sie kann sich deshalb ein Co-Präsidium vorstellen, zusammengesetzt aus einem Mann und einer Frau.

Eine frühere Mitarbeiterin Lochers erhob den Vorwurf der Grenzverletzung. Es gilt die Unschuldsvermutung. Es gibt allerdings kein Verfahren gegen ihn, da keine Anzeige gemacht wurde. Stimmt das?

Ja, das entspricht auch meinem Wissensstand. Das muss man ernsthaft berücksichtigen. Das heisst aber nicht, dass nicht Dinge vorgefallen sein können, die nicht in Ordnung sind. Es gibt einen grossen Graubereich, für den man zwar rechtlich nicht belangt werden kann, der aber nicht tolerabel ist.

Wir befinden uns da mitten in einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel.

Das Bewusstsein für diesen Graubereich ist enorm gestiegen. Wir befinden uns da mitten in einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Und dieser ist auch ein Thema in den Kirchen. Schon eine ganze Weile sogar.

Hat die Synode der EKS etwas mehr Klarheit gebracht?

Es hat sich gezeigt, dass die Situation viele überforderte. Einerseits muss man die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen schützen. Auf der anderen Seite besteht zu Recht auch ein öffentliches Interesse an dem Fall. Man muss sich überlegen, was denn nun das sorgfältige Vorgehen ist bei einem Verhältnis zweier Menschen in so einem Gremium wie dem Kirchenrat, in dem man – ohne Interessenkonflikte – unabhängige Entscheide fällen sollte.

Es ist zu einer grossen, breiten Überforderung gekommen.

Natürlich wünschte man sich, dass man professioneller vorgegangen wäre. Nun sehen wir die Folgen davon. Das entbindet die anderen Ratsmitglieder zwar nicht davon, selbst korrekt vorzugehen. Ich verstehe aber, dass es hier zu einer grossen, breiten Überforderung gekommen ist.

Die Aufarbeitung soll weitergehen. Kann das unabhängige, externe Untersuchungsgremium, das beauftragt wurde, die Vorwürfe aufklären?

Ich glaube, es wird insbesondere die Beschwerde anschauen müssen. Ist die Grenzverletzung, die Locher vorgeworfen wird, wirklich strafrechtlich relevant? Ich vertraue aber vor allem den kantonalen Kirchen. Dort arbeiten Leute, die nichts unter den Tisch wischen, die selbstkritisch sind und die die wichtigen Prozesse, die jetzt anstehen, anpacken werden.

Das Gespräch führte Barbara Peter.

Tagesgespräch, 16.06.2020, 13:00 Uhr ; 

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