An Corona-Demos und spontanen Feiern von Sportfans hält sich kaum jemand an Versammlungsgrösse, Abstandsregeln und Maskenpflicht. Die Polizei unterbindet solches Treiben aber nur selten. Wieso werden die Massnahmen des Bundes derart inkonsequent durchgesetzt? Fredy Fässler, oberster Justiz- und Polizeidirektor, stellt sich den Fragen von SRF.
SRF News: Am Wochenende haben in Zug tausende EVZ-Fans gefeiert und in Aarau gab es einen Marsch gegen Corona-Massnahmen. Warum setzt die Polizei diese nicht konsequent um?
Fredy Fässler: Das Problem ist nicht die Polizei. Es ist absolut unmöglich im Rahmen der Verhältnismässigkeit eine Demonstration oder eine Feier mit mehreren tausend Personen aufzulösen.
Verhältnismässigkeit geht eben der Durchsetzung der Rechtsordnung vor.
Da müsste man mit Wasserwerfen, mit Gummischrot oder Tränengas vorgehen. Das geht in einem Rechtsstaat nicht.
Die Polizei spricht oft von Verhältnismässigkeit. Ist sie nicht schlicht zu schlecht vorbereitet?
Nein, die Polizei ist bei jeder Veranstaltung extrem gut vorbereitet. In Rapperswil-Jona liefen die Vorbereitungen eine ganze Woche. Allein der Einsatzbefehl umfasste etwa zwölf Seiten. Es erfolgten Absprachen mit politischen Behörden.
Jeder Polizist und jede Polizistin wusste, wie die Einsatzdoktrin lautet und was zu tun war. Aber: Verhältnismässigkeit geht eben der Durchsetzung der Rechtsordnung vor.
Kann die Polizei nicht sicherstellen, dass solche Veranstaltungen gar nicht erst zustande kommen können?
Das hat man in Rapperswil-Jona auch geprüft. Der Platz, auf dem die Demo stattgefunden hat, hätte man mit Gittern absperren können. Aber dann wären die Leute einfach in den engen Gassen unterwegs gewesen.
Wenn eine Massenpanik ausbricht, kann das gefährlich werden. Und auf einem freien Platz ist die Situation auch epidemiologisch etwas günstiger als in engen Gassen.
Aber die Polizei könnte das durchsetzen?
Man hätte Rapperswil-Jona von morgens um sieben bis abends um sieben abriegeln können. Sämtliche Zufahrtswege, Strassen, öffentlicher Verkehr. Man hätte auch eine Ausgangssperre verhängen können.
Dann hätte mit Sicherheit keine Demo stattgefunden. Aber das kann man in einem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat im Sinne der Verhältnismässigkeit nicht tun.
Kann die Polizei denn laufende Grossveranstaltungen auflösen?
Ja, natürlich. Aber sie macht es mit Gewalt: mit Wasserwerfern, mit Gummischrot, mit Tränengas. Das kann die Polizei alles. Aber wenn in dieser Demonstration Kinderwagen und kleine Kinder sind ist nachvollziehbar, dass die Polizei davon absieht.
Das Eskalationsrisiko, wenn die Polizei Gewalt anwendet, ist nicht unbeträchtlich.
Und das Eskalationsrisiko, wenn die Polizei Gewalt anwendet, ist nicht unbeträchtlich. Das muss im Vorne herein und nicht im Nachhinein beurteilt werden.
Braucht es eine schweizweit einheitliche Regelung?
Die Polizeihoheit ist bei den Kantonen. Und die Situation muss immer vor Ort beurteilt werden. Eine Demo in Zürich ist nicht dasselbe wie eine in Chur. In Zürich kommt es sehr viel häufiger zu Auseinandersetzungen, zu Gewalt und zu chaotischem Vorgehen einzelner Demoteilnehmer.
Ist die Situation unbefriedigend?
Ja, aber es sind nicht die einzigen Verstösse, die nicht geahndet werden. Jeden Tag gibt es zigtausende Geschwindigkeitsdelikte. Und es wird auch nicht jeder Kiffer zur Verantwortung gezogen.
Es gehört ein Stück weit zum Rechtsstaat, dass Leute die Regeln nicht einhalten und die Polizei machtlos ist, sie durchzusetzen.
Das Gespräch führte Reto Hanimann.