Erster Fall in der Schweiz - Darf ein Verwahrter Sterbehilfe in Anspruch nehmen?
Urteilsfähige Personen haben das Recht, ihren Tod frei zu wählen. Im Freiheitsentzug ist das nur schwer umsetzbar. Eine Diskussion zwischen Selbstbestimmung und «freiwilliger Todesstrafe».
Das ist passiert
: Erstmals hat in der Schweiz eine Sterbehilfeorganisation eine verwahrte Person in den Suizid begleitet.
Gemäss Zürcher Direktion der Justiz und des Innern
handelte es sich um einen Verwahrten, der in der Zuger Justizvollzugsanstalt Bostadel lebte. Der assistierte Suizid wurde Ende Februar ausserhalb des Gefängnisses durchgeführt.
Verwahrung im Gesetz
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Nach
Artikel 64 des Strafgesetzbuches
wird eine Verwahrung durch ein Gericht angeordnet, «wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, [...] oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat». Dazu kommt, dass «zu erwarten ist, dass er weitere Taten dieser Art begeht».
Das Gericht ordnet die
lebenslängliche Verwahrung
an, «wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, einen Raub, eine Vergewaltigung, eine sexuelle Nötigung, eine Freiheitsberaubung [...] oder ein Kriegsverbrechen begangen hat» und er «mit dem Verbrechen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person besonders schwer beeinträchtigt», beim Täter «eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit» der Wiederholung besteht und er «als dauerhaft nicht therapierbar eingestuft» wird.
Inwiefern haben Verwahrte ein Recht auf Sterbehilfe?
Das Selbstbestimmungsrecht beinhaltet gemäss Bundesverfassung und Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) auch das Recht jeder urteilsfähigen Person, die Art und den Zeitpunkt ihres Todes frei zu wählen.
Wenn die Person mit Exit Kontakt aufnehmen will, ist das möglich.
Strafvollzugsexperte Benjamin Brägger stellt fest, dass dieses Recht im Prinzip auch für Gefangene gilt und nicht von ihrem strafrechtlichen Status abhängig gemacht werden darf. «Wenn die Person mit Exit (Vereinigung für humanes Sterben) Kontakt aufnehmen will, ist das möglich.» Aber Brägger erwähnt, dass sich natürlich auch die Frage stellt, ob man sich
durch einen assistierten Suizid seiner Strafe entzieht. Er persönlich sehe das jedoch nicht so.
Welches sind die Voraussetzungen für Sterbehilfe im Vollzug?
Eine nationale Vernehmlassung hat gezeigt, dass die Kantone die Sterbehilfe im Vollzug grundsätzlich gutheissen. Aus diesem Grund hat das
Schweizerische Kompetenzzentrum für den Justizvollzug
zentrale Grundsätze definiert. Danach soll ein assistierter Suizid im Vollzug nur als «ultima ratio» und bei von externen medizinischen Fachpersonen bestätigten «unerträglichem physischen oder psychischen Leiden» erfolgen.
Wie gestaltet sich der Ablauf der Suizidhilfe im Vollzug?
Als Erstes muss die inhaftierte Person den entsprechenden Wunsch äussern. Dann wird abgeklärt, ob die Person urteilsfähig ist und den Entscheid freiwillig getroffen hat. Schliesslich ist es eine Sterbehilfeorganisation oder ein Arzt, die das tödliche Medikament verabreichen. Für Brägger sei die schwierige Frage: «Wo findet das statt?» Entweder das Gefängnissystem gestatte den Ablauf innerhalb der Gefängnismauern oder es müssten Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, die den begleiteten Suizid ausserhalb ermöglichen würden.
Brauchen Sie Hilfe?
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Es gibt verschiedene Stellen, an die sich Menschen in suizidalen Krisensituationen wenden können. Rund um die Uhr, vertraulich und kostenlos.
Welche Bedenken gibt es?
Der forensische Psychiater Josef Sachs sagt: «Grundsätzlich haben Menschen im Freiheitsentzug das Recht auf die gleiche medizinische Versorgung wie Menschen in Freiheit.» Dieses Recht kann sinngemäss auch auf die Sterbehilfe angewendet werden. Wer zum Beispiel an einer tödlichen Krankheit leidet, soll Zugang zur Sterbehilfe erhalten.
Es könnte der Eindruck entstehen, man könne wählen zwischen Verwahrung oder Todesstrafe.
Anders ist die Situation, wenn der Freiheitsentzug selbst der Grund für den Todeswunsch ist. Wenn jemand aufgrund des Freiheitsentzugs keinen Sinn im Leben mehr sieht und deshalb Sterbehilfe in Anspruch nehmen will, gleicht das einer «freiwilligen Todesstrafe», sagt der Psychiater. «Es könnte der Eindruck entstehen, man könne zwischen Verwahrung oder Todesstrafe wählen.»
Bedarf es einer gesetzlichen Anpassung?
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Sachs möchte nicht Alarm schlagen: «Es ist nicht zu befürchten, dass dies ein Massenphänomen wird.» In der Schweiz gibt es rund 200 Verwahrte. Die wenigsten von ihnen möchten sterben. Viele hoffen, dass die Verwahrung irgendwann aufgehoben wird. «Der Wunsch nach einem assistierten Suizid bei Menschen in Verwahrung wird wahrscheinlich nur alle paar Jahre konkret gestellt», so Sachs. Aus diesem Grund sieht der Psychiater keinen Bedarf für ein entsprechendes Gesetz. Vielmehr sollen die Einzelfälle pragmatisch beurteilt werden.
Und so könnte die Todesstrafe durch die Hintertür «wieder quasi salonfähig» werden. Zudem dürfe man nicht ausser Acht lassen, dass die Forderung nach einem assistierten Suizid im Einzelfall als Druckmittel gegen Haftbedingungen verwendet werden könnte.
Anstoss zur Diskussion: Verwahrter Sexualtäter will sterben
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Angestossen wurde die öffentliche Diskussion zum assistierten Suizid in der Verwahrung durch die Geschichte von Peter Vogt. Er ist in der interkantonalen Strafanstalt Bostadel im Kanton Zug inhaftiert. Er ist über 70 Jahre alt, geht an Krücken und ist krank.
Vogt hat in den 1970er und 1980er Jahren über ein Dutzend Frauen gewürgt und vergewaltigt. Er kam mehrmals ins Gefängnis und wurde viermal verwahrt. Er wird bis zu seinem Lebensende als Verwahrter hinter Gittern sitzen müssen.
Doch Vogt hat den Entschluss gefasst, begleiteten Suizid zu begehen. Gegenüber der «Rundschau» sprach er 2018 zum ersten Mal über seinen Todeswunsch. Ein Präzedenzfall. Die Behörden standen im Dilemma.
Den ganzen Beitrag finden Sie im nachfolgenden Archivvideo.
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