Es geht um Putzmänner und Putzfrauen, Bauarbeiter oder private Sicherheitsleute. Sie arbeiten in Branchen mit viel Lohndruck und in vielen kleinen Unternehmen. Das macht es schwierig, Gesamtarbeitsverträge (GAV) für allgemeinverbindlich zu erklären. Denn dazu muss mindestens die Hälfte aller Firmen einem Branchenverband angehören, der den GAV unterzeichnet hat.
Diese Hürde sei viel zu hoch, sagt Veronique Polito von der Gewerkschaft Unia. Sie verweist auf die Kleinstbetriebe in gewissen Branchen, die zum Teil sehr rasch öffnen, schliessen und wieder öffnen. Es sei fast unmöglich, all diese Betriebe in einem Arbeitgeberverband zu organisieren.
Polito befürchtet, dass die Gesamtarbeitsverträge und somit die Mindestlöhne für die private Sicherheitsbranche und die Reinigungsbranche bald nicht mehr verbindlich sind – weil immer mehr kleine Firmen auf den Markt kommen.
Unterstützung aus der Westschweiz
In der Romandie stehen die Gewerkschaften mit ihrem Wunsch nach tieferen Hürden nun aber nicht mehr allein da. Auch die Arbeitgeber-Vereinigung Centre Patronal will Reformen. Viele etablierte Firmen seien mit massivem Lohndumping der Konkurrenz konfrontiert, sagt Generaldirektor Christophe Reymond. Allgemeinverbindliche GAV seien ein mögliches Gegenmittel.
Gemäss dem Vorschlag des Centre Patronal soll künftig nicht mehr in jedem Fall die Hälfte der Firmen einem GAV angeschlossen sein müssen, damit der GAV für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. «Mir sind von den Sozialpartnern ausgehandelte GAV lieber als staatlich verfügte Mindestlöhne», betont Reymond.
Kein Gehör für tiefere Hürden in Zürich
Beim Schweizerischen Arbeitgeberverbandes in Zürich stösst der Westschweizer Arbeitgeber-Vertreter auf taube Ohren. Geschäftsleitungsmitglied Daniella Lützelschwab sagt Nein zu tieferen Hürden für allgemeinverbindliche GAV: «Das ist ein sehr grosser Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit. Wir sehen keinen Grund, diese Voraussetzung zu verhindern.»
In der Romandie hingegen hat das Centre Patronal einen Grossteil auch der bürgerlichen Politiker überzeugt. Mit Folgen: Im Frühling sagte die Wirtschaftskommission des Nationalrats hauchdünn Ja zur Reformidee. Ob allerdings diese Allianz zwischen bürgerlichen Romands und der politischen Linken hält, ist sehr offen.
«Teil des Bouquets»
Reymond vom Centre Patronal ist zuversichtlich. Die Europapolitik und dabei das Ringen um ein Rahmenabkommen mit der EU könnten ihm in die Hände spielen. Ende Juli beginnen Gespräche zwischen Bund, Kantonen, Arbeitgebern und Gewerkschaften über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit.
Es geht um die Frage, ob und allenfalls wie sich die Schweiz und die EU beim Lohnschutz annähern könnten. Hier könnten auch die Gesamtarbeitsverträge zum Thema werden, hofft Reymond. Tiefere Hürden für allgemeinverbindliche GAV könnten «Teil eines Bouquets von Ausgleichsmassnahmen» im Inland sein, falls die Schweiz der EU entgegenkommt.
Davon wollen zurzeit aber weder der Arbeitgeberverband noch die Gewerkschaften etwas wissen. Völlig aus der Luft gegriffen scheint es aber nicht: Vorletzte Woche hat die Idee auch ein ranghoher Kantonsvertreter ins Spiel gebracht um die Blockadesituation zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern zu überwinden.