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Verstossen Mobility Pricing-Versuche gegen die Bundesverfassung?
Aus Echo der Zeit vom 04.07.2021. Bild: Keystone
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Gebühren für Strassen? Versuche mit Mobility Pricing verstossen gegen die Verfassung

Wer zu Stosszeiten unterwegs ist, soll bald mehr bezahlen. Das sei nicht verfassungskonform, sagen Staatsrechtler.

Vor drei Wochen lehnte das Stimmvolk das CO2-Gesetz ab. Was wohl auch mit den darin vorgesehenen höheren Abgaben zusammenhing. Dennoch plant der Bundesrat mit dem sogenannten Mobility Pricing bereits das nächste Projekt, das den Verkehr verteuern möchte.

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So funktioniert Mobility Pricing
Aus News-Clip vom 20.10.2017.
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Wer künftig zu Stosszeiten auf der Strasse oder im öffentlichen Verkehr unterwegs ist, soll mehr bezahlen. Diese Preiserhöhungen sollen die Nachfrage steuern und Verkehrsspitzen brechen.

Problematischer Gesetzesentwurf

In einem ersten Schritt will der Bundesrat interessierten Kantonen, Gemeinden oder Organisationen ermöglichen, das Modell mit Pilotprojekten zu testen. Dabei gibt es aber ein Problem: Der Gesetzesentwurf verstösst gegen die Bundesverfassung.

Zu dieser Einschätzung kommen zwei Staatsrechtler, die SRF konsultiert hat. Alain Griffel, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, ist ein Befürworter von Mobility Pricing. Trotzdem findet er: Wenn man Gesetze mache, dürfe man so nicht vorgehen. Ähnlich sieht das Markus Kern. «Ich bin der Meinung, dass die verfassungsrechtliche Abstützung des Gesetzes in der Tat etwas wackelig ist», so der Assistenzprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Bern.

Die Benutzung öffentlicher Strassen ist gebührenfrei.
Autor: Bundesverfassung

Der wunde Punkt ist die Frage, inwiefern Pilotprojekte für Mobility Pricing auf der Strasse mit der Bundesverfassung vereinbar sind. Denn diese hält fest: «Die Benutzung öffentlicher Strassen ist gebührenfrei».

Auto fährt in Richtung des Tunngels beim Grossen Sankt Bernhard
Legende: Die Tunnelgebühr am Grossen Sankt Bernhard ist bis jetzt noch eine Ausnahme. Keystone

Zwar kann das Parlament Ausnahmen bewilligen. Bis jetzt existiert aber nur eine, die Tunnelgebühr am Grossen Sankt Bernhard. Für die Autobahnvignette oder die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe dagegen musste die Verfassung per Abstimmung angepasst werden.

Bis zu welchem Punkt können Strassengebühren als Ausnahme gelten? Klarer Fall für Kern: Die Erhebung einer Gebühr für bestimmte Verkehrsarten oder auf bestimmten Strassentypen wäre «unzulässig».

Bundesrats-Trick

Dessen ist sich der Bundesrat bewusst. Gebühren in einzelnen Städten könne man nicht mehr als «Ausnahme» bezeichnen, schreibt er. Deshalb greift er zu einem Trick und stützt die Pilotprojekte auf Artikel 173 der Bundesverfassung. Dieser hält fest, ein Gesetz könne «der Bundesversammlung weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen».

Staatsrechtler Griffel glaubt jedoch nicht, dass man diesen Artikel heranziehen kann, um Mobility Pricing verfassungskonform zu machen: «Der Artikel 173 sagt dazu überhaupt nichts Relevantes aus».

Das ist Spiegelfechterei.
Autor: Alain Griffel Professor für Staats- und Verwaltungsrecht Universität Zürich

Vielmehr gehe es darin um die Frage, wer innerhalb des Bundesstaats für eine gewisse Aufgabe zuständig sei. Es gehe nie darum, den Bund zu legitimieren, eine Aufgabe wahrzunehmen, die er gemäss Verfassung gerade nicht wahrnehmen dürfte. «Das ist wirklich Spiegelfechterei», so Griffel.

Verfassungsänderung nötig

Griffel ist überzeugt, dass es für Mobility Pricing-Versuche auf jeden Fall eine Verfassungsänderung bräuchte. Dies, obschon das Strassengebührenverbot seiner Meinung nach ein alter Zopf sei, den man abschneiden müsse.

Kern findet, wenn man noch im Rahmen der Bundesverfassung bleiben wolle, müsse man die Anzahl Projekte streng begrenzen. «Wenn man unbeschränkt Projekte zulassen möchte, wäre die Verfassung anzupassen.»

Astra lehnt Kritik ab

Mit der Kritik konfrontiert, erklärt das zuständige Bundesamt für Strassen Astra, es würde «keinen Sinn ergeben, die Verfassung zu ändern, bevor man überhaupt weiss, ob Mobility-Pricing-Abgaben erhoben werden sollen». Zudem seien die Pilotprojekte nur «in einem klaren zeitlichen Rahmen und auf einem lokal begrenzten Perimeter zulässig».

Stellungsnahme des Bundesamts für Strassen

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Die Frage der Verfassungsmässigkeit wurde im Vorfeld der Vernehmlassung ausführlich mit dem Bundesamt für Justiz (BJ) diskutiert. Es würde keinen Sinn machen, die Verfassung zu ändern, bevor man überhaupt weiss, ob bzw. in welcher Form Mobility-Pricing-Abgaben (insbesondere im Bereich der Strassen) erhoben werden sollen. Zudem wären auch Pilotprojekte nur in einem klaren zeitlichen Rahmen (maximal 4 Jahre) und nur auf einem lokal begrenzten Perimeter zulässig. Aus diesen Gründen hat sich der Bundesrat für ein befristetes Bundesgesetz entschieden. Dies in Anlehnung an die Kompetenz der Bundesversammlung, die gestützt auf Art. 82 Abs. 3 BV im Einzelfall Ausnahmen von der Gebührenfreiheit für die Benützung öffentlicher Strassen bewilligen kann.

Wie es mit der Vorlage weitergeht, dürfte sich in der zweiten Jahreshälfte zeigen. Dann will sie der Bundesrat dem Parlament unterbreiten.

Echo der Zeit, 04.07.2021

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