Zum Inhalt springen

Gegen Empfehlungen des Bundes Gewerbeverband will Corona-Massnahmen sofort aufheben

  • Der Bundesrat soll die einschneidendsten Massnahmen gegen Corona sofort aufheben, weil in den Intensivstationen der Spitäler immer weniger Corona-Patientinnen und -Patienten liegen.
  • Das fordern Vertreter des Schweizer Gewerbes und der bürgerlichen Parteien. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die nationale Science Taskforce wollen davon überhaupt nichts wissen.

Viele Betriebe im Bereich Gastronomie, Hotellerie und Events sowie zahlreiche Fitness-Center hätten enorm unter den Corona-Massnahmen des Bundesrates gelitten, sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (sgv). «Überall dort sind Betriebe gefährdet, teilweise Konkurs gegangen. Sie haben massivste Umsatzverluste, weil die Wirtschaftsfreiheit aufgehoben wurde.»

Jetzt, da zwar die Infektionen mit der Omikron-Variante weiter massiv zunehmen, die schweren Erkrankungen aber deutlich zurückgehen, sei der Moment gekommen, die schärfsten Massnahmen aufzuheben, findet Bigler, unterstützt von zwei Nationalräten der SVP und der Mitte-Partei sowie einer Nationalrätin der FDP. «Wir fordern den Bundesrat dazu auf, dass er am 2. Februar die unnötigen Corona-Massnahmen aufhebt.»

Gegen Homeoffice, Isolation und Quarantäne

Damit meint Bigler: «Aufhebung der Homeofficepflicht, Aufhebung der Isolations- und Quarantänepflicht, Wiederherstellung der verfassungsmässig garantierten Grundrechte für Bürger und Wirtschaft.» Auch die Zertifikatspflicht müsse rasch weg, fordert Casimir Platzer, Präsident des Verbands Gastrosuisse, da sich immer mehr Geimpfte und sogar Geboosterte mit Omikron anstecken würden.

Einschätzung von Katrin Zöfel von der SRF-Wissenschaftsredaktion

Box aufklappen Box zuklappen

Man kann bei den Infektionszahlen den Eindruck bekommen, dass das Bremsen der Ansteckungen ohnehin nichts bringt. Und es wird auch viel darüber gesprochen, dass sich sowieso jeder mit Omikron infiziert. Letzteres stimmt auch sehr wahrscheinlich, aber der entscheidende Punkt bleibt immer noch: Wie schnell infizieren sich wie viele Menschen? Das bestimmt, wie heftig sich diese Welle auswirkt.

Und in einer Situation, in der die Fallzahlen ohnehin sehr hoch sind und nach Einschätzung von BAG und Taskforce immer noch steigen, die Corona-Massnahmen zu lockern, würde heissen, man heizt diese Situation nochmals an.

Gleichzeitig ist klar: Die Spitaleinweisungen und die Fallzahlen sind jetzt stärker entkoppelt als in jeder anderen Welle. Das ist eine gute Nachricht. Und trotzdem ist es immer noch zu früh, sich komplett zu entspannen.
Das hat drei Gründe, die alle die Situation in den Spitälern betreffen.

  1. Die Spitalzahlen werden dem BAG mit Verzögerung gemeldet. Das heisst, sie bilden die reale Situation nicht respektive mit Verzug ab.
  2. Es dauert in jeder Welle eine gewisse Zeit, bis sich steigende Infektionszahlen in den Spitälern niederschlagen, und die jetzige Welle hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Eine mögliche Spitze der Spitalbelastung kommt also erst.
  3. Bisher haben sich vor allem Menschen unter 60 mit Omikron infiziert. Ältere, die eher für schwere Verläufe anfällig sind, waren bisher weniger betroffen. Es wird sich also in den nächsten Tagen und Wochen zeigen: Wie stark ziehen die Menschen über 60 nach und wie gut sind sie dabei durch den Booster geschützt?

Dass nach Omikron weitere neue Varianten kommen werden, ist sehr wahrscheinlich. Dann stellt sich jeweils die Frage: Infizieren sich die schon Immunen damit nochmal? Macht die Variante stärker oder weniger stark krank? Ist sie ansteckender? Kurz, wie gefährlich sind die neuen Varianten jeweils?

Auf der Habenseite baut sich aber gleichzeitig ein Immunschutz in der Bevölkerung auf. Dafür braucht es, wie man gelernt hat, mehrere Begegnungen mit der Impfung oder dem Virus selbst. Dann wird der Schutz aber wirklich immer robuster und auch immer breiter. Das senkt die Gefahr, die von neuen Varianten ausgehen kann, ganz sicher ab.

«Weil man weiss, dass das Zertifikat seinen ursprünglichen Sinn gar nicht mehr erfüllt», so Platzer. «Es ist nutzlos. Es ist unverhältnismässig. Es bremst keine Ansteckung. Deshalb fordern wir die sofortige Aufhebung.»

Doch Urs Karrer, Vizepräsident der Nationalen Science Taskforce, weist dies klar zurück. Man habe den Höhepunkt der Welle noch nicht erreicht, sagt er. «Wir verursachen nur unnötige zusätzliche Schäden, wenn wir jetzt sofort alles über Bord werfen und dem Virus freien Lauf lassen.»

Explodierende Fallzahlen, weil alle Massnahmen aufgehoben würden: Das sei nun wirklich nicht das, was sich die Schweiz auf den letzten Metern Omikron leisten sollte, sagt auch Patrick Mathys vom BAG. «Es braucht noch ein bisschen Geduld. Wir sind zwei Jahre in der Pandemie. Es wäre schade, jetzt wegen zwei oder drei Wochen diese Situation, wie wir sie geschaffen haben, und in der wir sind, jetzt zu verspielen. Das ergibt einfach keinen Sinn. Nicht nur epidemiologisch, glaube ich.»

Das BAG und die Taskforce werden dem Bundesrat also nicht empfehlen, die schärfsten Massnahmen sofort fallen zu lassen, wenn dieser am Mittwoch der nächsten Woche über mögliche Lockerungen berät.

Echo der Zeit, 25.01.2022, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel