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Gerichtsprozess in Brugg AG Gewalt gegen Baby: Kinderschutz-Experte ordnet ein

Im Oktober 2022 wird ein Säugling gemäss Staatsanwaltschaft so stark geschüttelt und in eine Matratze gedrückt, dass er lebensgefährliche Verletzungen davonträgt. Später zeigt sich: Das Baby weist auch diverse Brüche auf. Der Fall des schwer misshandelten Kindes, das heute bleibende Hirnschäden hat, wird diese Woche am Bezirksgericht Brugg AG verhandelt. Markus Wopmann gründete 1991 als junger Assistenzarzt am Kantonsspital Baden die Kinderschutzgruppe wegen eines ähnlichen Vorfalls. Unterdessen ist er pensioniert. Sind solche Vorkommnisse Einzelfälle? Er ordnet ein.

Markus Wopmann

Gründer Kinderschutzgruppe Kantonsspital Baden AG

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Markus Wopmann ist aus Würenlos AG. Der ehemalige Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche am Kantonsspital Baden gilt als Pionier im Kinderschutz. Er gründete 1991 die Kinderschutzgruppe am Badener Kantonsspital. Als junger Assistenzarzt erlebte Markus Wopmann damals, wie ein kleines Kind nach einer Misshandlung starb. 2017 wurde er für seine Arbeit als «Aargauer des Jahres» ausgezeichnet. 2021 wurde Wopmann pensioniert und gab die Leitung der Kinderschutzgruppe ab.

SRF News: Sind Ihnen Kindesmissbrauchsfälle mit einer solchen Tragweite oft begegnet?

Markus Wopmann: Zum Glück sind Fälle dieser Tragweite selten. Am Kantonsspital Baden hatten wir rund einen solchen Fall pro Jahr.

Wie geht man als Arzt vor, wenn man hinter einer Verletzung eines Kindes eine Misshandlung vermutet?

Manchmal ist es relativ klar, was los ist, in anderen Fällen eher nicht. Wenn man als Arzt etwas vermutet, muss man Abklärungen treffen. Auf Röntgenbildern des Skeletts sieht man zum Beispiel frühere Kochenbrüche, die auf weitere Vorfälle hinweisen würden.

Ob die Polizei eingeschaltet wird, entscheidet nie der Arzt allein.

Ob die Polizei eingeschaltet wird, entscheidet immer die ganze Kinderschutzgruppe des Spitals, nie der Arzt allein. Bei einem Schütteltrauma wird die Polizei eingeschaltet.

Was gilt als Schütteltrauma eines Babys?

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Ist ein schreiendes Baby nicht zu beruhigen, bringt das Eltern oft an ihre Grenzen. Das Baby zu schütteln, scheint der letzte Ausweg – mit schwerwiegenden Folgen.

Als Schütteltrauma werden eine schwere Hirnschädigung, anhaltende körperliche und geistige Beeinträchtigungen und manchmal auch der Tod eines Säuglings als Folge heftigen Schüttelns bezeichnet.

Es sind wenige Sekunden, in denen Eltern die Kontrolle über sich selbst verlieren können und in ihrer Verzweiflung und Überforderung das Baby zu schütteln beginnen. Da bei einem Baby die Nackenmuskulatur noch zu wenig ausgebildet ist und es seinen Kopf noch nicht gut stabilisieren kann, kann dies zu einem Schütteltrauma mit schwerwiegenden, lebensgefährlichen Folgen führen.

(Quelle: Kinderschutz Schweiz)

Wie gingen Sie damit um, wenn die Eltern mit grosser Überzeugung sagten, dass sie nichts von einer Misshandlung wissen?

Das ist der Normalfall. Meistens sagen die Leute, dass sie nichts davon wissen. Manchmal wird eine Drittperson beschuldigt, für die Verletzungen verantwortlich zu sein. Wir vom Spital ermitteln ja nicht, dafür gibt es die Polizei. Wenn nicht klar ist, was vorgefallen ist, muss ermittelt werden.

Bei Neugeborenen kommt die Hebamme nach Hause und besucht die junge Familie. Reicht das, um Missbrauchsfälle zu verhindern?

Es reicht für einen ganz grossen Teil. Aber Präventionsmassnahmen greifen nie zu hundert Prozent. Meistens handeln die gestressten Eltern in einer grossen Überforderungssituation. Wenn ein schreiendes Kind zur Belastung wird, empfiehlt das Fachpersonal in Spitälern den Eltern, das Kind in der Wohnung an einen sicheren Ort zu legen, sich kurz zu entfernen und sich zu beruhigen. Das kann in Stresssituationen helfen. Das Ziel ist es immer, Kindesmissbrauch zu verhindern.

Das Gespräch führte Nina Köpfer.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 6.5.2025, 12:03 Uhr ; 

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