Wo «Israel-Kritik» draufsteht, ist nicht selten Judenhass drin: Das zeigt sich seit Ausbruch des jüngsten Krieges im Nahen Osten immer wieder, besonders in Deutschland. So kam es an mehreren Demonstrationen unter dem Motto «Solidarität mit Palästina» auch zu klar antisemitischen Äusserungen, es wurden Parolen geschrien, die nichts mehr mit sachlicher Kritik des Militäreinsatzes der israelischen Armee gegen die Hamas und den Islamischen Jihad im Gazastreifen zu tun haben, sondern blanken Judenhass offenbaren. So geschehen etwa in Gelsenkirchen, Frankfurt am Main, Berlin.
Der Verein «Zentrum demokratischer Widerspruch» hat Videos und Fotos mehrerer Protestzüge gesichert und die arabischen Sprechchöre übersetzt. Einige Beispiele einer Demonstration in Berlin-Neukölln vom vergangenen Samstag: «Beschiesst Tel Aviv!», «Die Intifada ist die Lösung!» oder «Rakete nach Rakete!».
Nach tagelangen massiven Anfeindungen von Mitarbeitenden hat sich zudem der Zentralrat der Juden in Deutschland entschieden, einen Teil der Hassbotschaften öffentlich zu machen. Es sind teils sehr explizite und verstörende Äusserungen wie «Leider hat Hitler noch ein paar von euch überleben lassen».
Etliche deutsche Politikerinnen und Politiker haben den Antisemitismus deutlich verurteilt, worauf sich der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, im Deutschlandfunk äusserte und die Solidaritätsbekundungen, die Jüdinnen und Juden derzeit ebenfalls erlebten, gewürdigt hat.
Shitstorm nach Solidaritätsbekundung
Sich öffentlich gegen den Antisemitismus zu stellen – eine Selbstverständlichkeit, könnte man meinen, und so postete der bekannte Schauspieler Elyas M’Barek («Türkisch für Anfänger», «Fack ju Göhte») anfangs Woche die zwei Worte «Stoppt Antisemitismus!» auf Twitter.
Was darauf folgte, als Shitstorm zu bezeichnen, wäre wohl untertrieben. Neben Unterstützung und bislang über 8600 «Gefällt mir» erntete der Sohn eines tunesischen Vaters und einer österreichischen Mutter offenen Hass, auch auf seinem Instagram-Account. M’Barek wird etwa als Verräter bezeichnet – als würde von einem Secondo aus einem muslimischen Land (M’Barek selbst ist Katholik) eine andere Haltung erwartet.
Auffällig ist, dass M’Barek nicht etwa von rechtsextremen Antisemiten angefeindet wurde, sondern von Personen, die offensichtlich ebenfalls einen arabisch-muslimischen Migrationshintergrund aufweisen. Ein ähnliches Bild zeigte sich auf den Strassen bei den Protestmärschen – dort dominierten nicht Glatzen, sondern offensichtlich mehrheitlich junge Männer und einige Frauen nordafrikanischer und türkischer Herkunft.
Nun debattiert die deutsche Politik hitzig über angeblich «importierten Antisemitismus» – das 76 Jahre nach Ende des Dritten Reichs und mehreren rechtsterroristischen Anschlägen in jüngster Zeit.
Dabei macht der langjährige Antisemitismus-Forscher und Antisemitismus-Beauftrage der Stadt Berlin, Samuel Salzborn klar: In rechtsextremen Kreisen sei Antisemitismus nach wie vor eine verbindende Klammer, und von dort gingen auch Gewalttaten aus.
Ein ganz aggressives antisemitisches Klima.
Aber: Auch in der Linken und im muslimisch-arabischen Kontext spiele Antisemitismus eine Rolle. Seine Beobachtungen und die Erfahrungen jüdischer Gemeinden hätten ergeben, dass das Gewaltpotential im Antisemitismus sowohl im rechtsextremen als auch im arabisch-muslimischen Milieu liege, so Salzborn. «Es entspricht dem, was wir gerade auch ganz massiv auf der Strasse bei den antisemitischen Demonstrationen erleben.»
Salzborn spricht von einer «unfassbaren antisemitischen Radikalisierung», man erlebe derzeit in Deutschland ein «ganz aggressives antisemitisches Klima».