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Gewalt im Nahen Osten schürt Judenhass
Aus 10 vor 10 vom 18.05.2021.
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Judenhass in Deutschland So radikal ist der Antisemitismus in Deutschland

Jüdinnen und Juden in Deutschland werden derzeit noch stärker angefeindet als bisher. Ein Experte spricht von einem «ganz aggressiven Klima».

Wo «Israel-Kritik» draufsteht, ist nicht selten Judenhass drin: Das zeigt sich seit Ausbruch des jüngsten Krieges im Nahen Osten immer wieder, besonders in Deutschland. So kam es an mehreren Demonstrationen unter dem Motto «Solidarität mit Palästina» auch zu klar antisemitischen Äusserungen, es wurden Parolen geschrien, die nichts mehr mit sachlicher Kritik des Militäreinsatzes der israelischen Armee gegen die Hamas und den Islamischen Jihad im Gazastreifen zu tun haben, sondern blanken Judenhass offenbaren. So geschehen etwa in Gelsenkirchen, Frankfurt am Main, Berlin.

Der Verein «Zentrum demokratischer Widerspruch» hat Videos und Fotos mehrerer Protestzüge gesichert und die arabischen Sprechchöre übersetzt. Einige Beispiele einer Demonstration in Berlin-Neukölln vom vergangenen Samstag: «Beschiesst Tel Aviv!», «Die Intifada ist die Lösung!» oder «Rakete nach Rakete!».

Nach tagelangen massiven Anfeindungen von Mitarbeitenden hat sich zudem der Zentralrat der Juden in Deutschland entschieden, einen Teil der Hassbotschaften öffentlich zu machen. Es sind teils sehr explizite und verstörende Äusserungen wie «Leider hat Hitler noch ein paar von euch überleben lassen».

Etliche deutsche Politikerinnen und Politiker haben den Antisemitismus deutlich verurteilt, worauf sich der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, im Deutschlandfunk äusserte und die Solidaritätsbekundungen, die Jüdinnen und Juden derzeit ebenfalls erlebten, gewürdigt hat.

Shitstorm nach Solidaritätsbekundung

Sich öffentlich gegen den Antisemitismus zu stellen – eine Selbstverständlichkeit, könnte man meinen, und so postete der bekannte Schauspieler Elyas M’Barek («Türkisch für Anfänger», «Fack ju Göhte») anfangs Woche die zwei Worte «Stoppt Antisemitismus!» auf Twitter.

Was darauf folgte, als Shitstorm zu bezeichnen, wäre wohl untertrieben. Neben Unterstützung und bislang über 8600 «Gefällt mir» erntete der Sohn eines tunesischen Vaters und einer österreichischen Mutter offenen Hass, auch auf seinem Instagram-Account. M’Barek wird etwa als Verräter bezeichnet – als würde von einem Secondo aus einem muslimischen Land (M’Barek selbst ist Katholik) eine andere Haltung erwartet.

Auffällig ist, dass M’Barek nicht etwa von rechtsextremen Antisemiten angefeindet wurde, sondern von Personen, die offensichtlich ebenfalls einen arabisch-muslimischen Migrationshintergrund aufweisen. Ein ähnliches Bild zeigte sich auf den Strassen bei den Protestmärschen – dort dominierten nicht Glatzen, sondern offensichtlich mehrheitlich junge Männer und einige Frauen nordafrikanischer und türkischer Herkunft.

Verbot der Hamas in der Schweiz gefordert

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Anders als in anderen Ländern ist die radikalislamische Hamas, die Israel mit Raketen beschiesst, in der Schweiz nicht als Terrororganisation eingestuft und auch nicht verboten. Das soll sich ändern, fordern der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS), wie sie heute in einer gemeinsamen Erklärung schreiben. Ideologie und Handlungen der Hamas würden deren extremistischen, terroristischen und antisemitischen Hintergrund klar aufzeigen. «Es kann nicht sein, dass sich die Hamas in der Schweiz frei bewegen, Spenden sammeln und ihre Finanzen abwickeln kann», heisst es in der Medienmitteilung.

Eine Einstufung als Terrororganisation und ein Verbot der Hamas wurde in der Schweiz bereits mehrfach gefordert, auch in parlamentarischen Vorstössen. Der Bundesrat entgegnete zuletzt 2017, das sei nicht möglich, weil die Hamas keinen Sanktionen des Uno-Sicherheitsrates unterliege, wie sie die Schweiz mittrage. Sie werde auch vom Bundesgesetz über das Verbot von Al-Kaida und Islamischer Staat nicht erfasst. Ein Verbot wäre gemäss dem Nachrichtendienstgesetz nur möglich, wenn ein Beschluss der Vereinten Nationen oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vorliegen würde.

Ausserdem sei es Teil der Schweizer Nahostpolitik, Kontakte zu allen Konfliktparteien zu unterhalten, auch zur Hamas. Dass diese Israel das Existenzrecht abspreche und den bewaffneten Kampf als legitimes Mittel erachte, diese Positionen sind für den Bundesrat inakzeptabel, wie er 2017 schrieb.

Nun debattiert die deutsche Politik hitzig über angeblich «importierten Antisemitismus» – das 76 Jahre nach Ende des Dritten Reichs und mehreren rechtsterroristischen Anschlägen in jüngster Zeit.

Dabei macht der langjährige Antisemitismus-Forscher und Antisemitismus-Beauftrage der Stadt Berlin, Samuel Salzborn klar: In rechtsextremen Kreisen sei Antisemitismus nach wie vor eine verbindende Klammer, und von dort gingen auch Gewalttaten aus.

Ein ganz aggressives antisemitisches Klima.
Autor: Samuel Salzborn Antisemitismus-Beauftrager der Stadt Berlin

Aber: Auch in der Linken und im muslimisch-arabischen Kontext spiele Antisemitismus eine Rolle. Seine Beobachtungen und die Erfahrungen jüdischer Gemeinden hätten ergeben, dass das Gewaltpotential im Antisemitismus sowohl im rechtsextremen als auch im arabisch-muslimischen Milieu liege, so Salzborn. «Es entspricht dem, was wir gerade auch ganz massiv auf der Strasse bei den antisemitischen Demonstrationen erleben.»

Salzborn spricht von einer «unfassbaren antisemitischen Radikalisierung», man erlebe derzeit in Deutschland ein «ganz aggressives antisemitisches Klima».

Die Situation in der Schweiz

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In der Schweiz sei es bisher zu keiner Häufung von antisemitischen Übergriffen gekommen. Das sagt der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes gegenüber «10vor10»: «Wir sehen, dass in der Schweiz ganz generell das Gewaltpotential tiefer ist, die aufgeheizte Stimmung eine andere ist. Es gibt viele Erklärungen. Im Grunde sind wir einfach froh, weil das auch den Beziehungen zwischen Juden und Muslimen in diesem Land guttut.»

2014, beim letzten Gaza-Krieg, war das noch anders. Damals wurden Schweizer Juden vor allem im Internet aufs heftigste beschimpft. Auch wenn die Situation jetzt besser sei, müsse man wachsam bleiben, so Jonathan Kreutner. «So lange dieser Konflikt andauert, kann man nicht sagen, dass wir in der Schweiz aus dem Schneider sind. Solange können natürlich gewisse Sachen passieren. Wir hoffen das nicht, aber wir sind zusammen wachsam, auch mit unseren muslimischen Partnern, um genau hinzusehen und um zu reagieren, falls es ausartet.»

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10vor10, 18.05.2021, 21:50 Uhr

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