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Kantönligeist Die Macht der 26 – Was uns der Föderalismus kostet

Ohne die Kantone geht bei uns nichts. Aber in der Corona-Krise hat sich die Föderalismus-Kritik wieder verstärkt. Zu teuer und zu kompliziert sei unser System. Ist dem wirklich so?

Wer in der Schweiz ein Grundstück kauft, um darauf zu bauen, muss wissen, wie gross das Haus von Gesetzes wegen werden darf. Dafür gibt es Masse wie die Ausnützungsziffer und Gesamt- oder Firsthöhen.

Nur sind diese Messweisen nicht einheitlich geregelt; je nach Kanton werden sie verschieden definiert. Wer ein Häuschen in seinem Dorf baut, muss lediglich die lokalen Vorschriften kennen und einhalten. Schnell mal unübersichtlich kann es aber für Bauunternehmen werden, welche in mehreren Kantonen tätig sind.

«Das ist keine grosse Geschichte»

Eine Studie des Bundes kam 1998 zum Schluss, dass die Vielfalt der kantonalen Planungs- und Baugesetze sowie kommunalen Bau- und Zonenordnungen Mehrkosten von zwischen 400 und 800 Millionen Franken pro Jahr verursacht.

Ein Mann steht an einem Tisch und schaut sich Papiere an.
Legende: Markus Mettler, CEO des Baukonzerns Halter AG, findet die vielen unterschiedlichen Bauvorschriften in der Schweiz unproblematisch. Iwan Santoro / SRF

Markus Mettler ist Konzernchef des Bauunternehmens Halter AG. Der fünftgrösste Baukonzern des Landes baut in der ganzen Schweiz. Die kantonalen Baugesetze zu kennen, sei eine Herausforderung für die Projektleiter, Architekten und Ingenieure, sagt er.

Bau-Vokabular

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Gesamthöhe

Die Gesamthöhe ist der grösste Höhenunterschied zwischen dem höchsten Punkt der Dachkonstruktion und den lotrecht darunter liegenden Punkten auf dem massgebenden Terrain.

Gebäudeabstand

Der Gebäudeabstand ist die Entfernung zwischen den projizierten Fassadenlinien zweier Gebäude.

Dachgeschosse

Dachgeschosse sind Geschosse, deren Kniestockhöhen das zulässige Mass nicht überschreiten.

Kniestockhöhe

Die Kniestockhöhe ist der Höhenunterschied zwischen der Oberkante des Dachgeschossbodens im Rohbau und der Schnittlinie der Fassadenflucht mit der Oberkante der Dachkonstruktion.

(Quelle: Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe IVHB)

Trotzdem bezeichnet Baukonzern-Chef Mettler den Mehraufwand, den der Föderalismus mit sich bringt, als vernachlässigbar. «Ein Profi weiss innerhalb einer Stunde was die kantonalen Unterschiede sind. Das ist keine grosse Geschichte».

Vielfalt und Kreativität

Mettler sieht gar Vorteile im Föderalismus. Die Vielfalt an Regeln und Vorschriften fördere die Kreativität des Bauens. Anders sieht es die nationale Politik. Aufgeschreckt durch die Kostenstudie von 1998 machte sie Druck auf die Kantone: Um ein nationales Baugesetz zu verhindern, war die zuständige Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz bereit, 2005 die sogenannte interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe IVHB zu verabschieden.

Gebäudehöhe ist Ansichtssache So unterschiedlich definierten diese Kantone die «Gesamthöhe» eines Gebäudes 2017. Das Konkordat sieht Messvariante 8 als Gesamthöhe vor. LU, ZG OW VS AI, SG, AR NW Konkordat ursprüngliches Terrain AG, SZ, TG, ZH BE, FR, GL, SO 1 1 2 3 4 7 5 8 6 2 3 4 5 6 7 8 Quelle: Baudepartement Kanton Zürich

Auch die Bauwirtschaft erhoffte sich dadurch Einsparungen. Im Konkordat wurden 30 baurechtliche Begriffe vereinheitlicht. Mittlerweile sind 18 Kantone diesem Konkordat beigetreten. Pikantes Detail: Mehrere dieser Konkordats-Kantone haben Ausnahmen definiert. Die Vereinheitlichung ist also nur teilweise umgesetzt. Auch 16 Jahre nach Gründung dieses Konkordates ist deshalb die landesweite Harmonisierung der Baubegriffe nicht umgesetzt.

Für Halter-Chef Mettler ist das Harmonisierungsmandat ein Schuss ins Leere: «Es ist kein Bedürfnis vorhanden, dass der Bund uns eine Messmethode zur Verfügung stellt. Er soll diese Ressourcen besser investieren.»

Das wichtigste Werkzeug des Föderalismus

Das Konkordat über die Harmonisierung der Baubegriffe ist kein Einzelfall. 800 Konkordate gibt es derzeit in der Schweiz. Mit diesen Verträgen werden gewisse kantonale Regeln oder Gesetze vereinheitlicht, ohne dass ein nationales Gesetz geschaffen wird. Aber die Teilnahme der einzelnen Kantone an diesen Konkordaten ist freiwillig.

Ein Baugespann ragt in den Himmel.
Legende: Wer Bauprojekte eingeben will, muss die örtlichen Bedingungen genau kennen. Keystone

Was uns der Föderalismus kostet, diese Frage kann auch Föderalismus-Kennerin und Politologin Rahel Freiburghaus nicht einfach so beantworten. Der Föderalismus habe seinen Preis. Auf den ersten Blick scheine eine nationale Lösung immer kostengünstiger. «Zudem verlangt Föderalismus etwas von uns allen; nämlich unsere Zeit. Dieses kleinräumige Gemeinwesen fordert von uns, dass wir uns aktiv einbringen in dieses föderale Staatswesen».

Mindestens den Faktor Geld machten die Kantone aber wieder wett, indem sie nämlich in einem permanenten Wettbewerb zueinander stünden, sagt Freiburghaus. Am bekanntesten ist sicher der Steuerwettbewerb. Will ein Kanton tiefere Steuern anbieten um so attraktiv zu sein, hält er wohl auch den Behördenapparat möglichst schlank und günstig.

Oder der Kanton lockt mit Effizienz und Angeboten. Also der Wettbewerb unter den Kantonen und auch Gemeinden sorge für effiziente Verwaltungen und haushälterischem Umgang mit Steuergeld, so Freiburghaus.

«Föderalismus hat ein Imageproblem»

Die Corona-Krise hat teilweise die Kantone und Behörden an den Anschlag gebracht. Die Kritik am Kantönligeist hat in den letzten Monaten zugenommen. Aber diese Kritik sei nicht neu. Freiburghaus glaubt, dass der Föderalismus zu Unrecht ein Image-Problem hat. Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 zeigte bei Jungen, dass der Föderalismus einen schlechten Stand habe. Die Politologin plädiert dafür, dass die Vorteile des Föderalismus besser vermittelt werden müssen.

Das Einmaleins des Föderalismus

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Woher kommt er?

Der Föderalismus ist älter als die moderne Schweiz. Schon vor Gründung des Bundesstaates 1848 existierten die Kantone. Diese wurden durch die Tagsatzung vertreten. Das waren Abgesandte der Kantone, die sich regelmässig trafen, um Absprachen und Regeln zu treffen, welche dann für die Kantone gelten sollten. Ähnlich wie dies heute die kantonalen Kantonskonferenzen machen.

Wie teilen sich Bund und Kantone heute auf?

Die Schweiz kennt das Dreistufenmodell: Bund, Kantone, Gemeinden – in umgekehrter Reihenfolge. Die einzelnen Gemeinden übernehmen so viele Kompetenzen wie möglich. Was deren Kraft übersteigt, wird an die nächsthöhere Instanz, den Kanton abgegeben. Dieser wiederum gibt gewisse Kompetenzen an den Bund ab .

Wie sieht es im internationalen Vergleich aus?

Es gibt mehrere föderalistische Staaten. Prominente Beispiele sind da die USA und Deutschland. Deutschland eignet sich auch gut als Vergleich. Es ist unser Nachbarland, hat eine ähnliche Mentalität, spricht dieselbe Sprache. Trotzdem: unser Föderalismus geht weiter; Hauptunterschied ist die Steuerpolitik: Währenddem die deutschen Bundesländer in der Fiskalpolitik kaum etwas zu melden haben, ist Steuerpolitik in der Schweiz Kantons- und Gemeindehoheit. Wir haben echten Steuerwettbewerb. Den gibt es in Deutschland nicht.

Dass zentralistische Staaten gerade in einer Pandemie wie Corona besser und effizienter handeln würden, dementiert Freiburghaus und bringt als Beispiel Frankreich. Dort haben einzelne Regionen zu Beginn der Pandemie eigenständig Gesundheitsmaterial organisiert. Die Armee hatte dieses Material dann im Auftrag der Regierung in Paris konfisziert, um es dann neu verteilen zu können. Das sei sicher nicht effizienter gewesen, so Freiburghaus.

Ein Bauarbeiter sitzt auf einem Baugerüst.
Legende: Die Baubranche hat sich an das Vorschriftenwirrwarr gewöhnt, eine Harmonisierung sei darum nicht nötig, finden viele. Keystone

Kritik am Föderalismus ist nicht neu. Bereits in den 1960-er Jahren veröffentlichte Historiker Herbert Lüthy die Kantönligeist-Kritik «Vom Geist und Ungeist des Föderalismus». Die liberale Denkfabrik Avenir Suisse provozierte in den Nuller-Jahren mit einer Studie, welche die Abschaffung der 26 Kantone forderte.

Stattdessen sollten in der Schweiz sieben bis maximal zehn Grossregionen geschaffen werden. Aber die Autoren hielten die Chancen der Realisierung für ein derartiges Projekt selbst für äusserst minim. Da dürften sie wohl Recht haben. Die Abschaffung der Kantone wäre wohl gleichbedeutend mit der Abschaffung der Schweiz.

Einfach Politik, 4.6.21

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