«Unsere Schweiz löst sich auf wie ein Stück Zucker im Wasser.» Äusserungen wie diese des Aargauer Nationalrats Andreas Glarner zeigen die Stimmung während der Debatte in der grossen Kammer exemplarisch auf. Die SVP-Fraktion sieht die nationale Identität durch das ungebremste Wachstum gefährdet.
Der Grundtenor: Die Infrastruktur der Schweiz könne mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten, überlastete Sozialsysteme, Wohnungsnot, Staus und volle Züge seien die Folge. «Sogar bei Bergwanderungen stehen wir uns neuerdings auf den Füssen», monierte Walter Gartmann (SVP/SG).
Gegensteuern will die SVP mit der Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz». Die sogenannte «Nachhaltigkeitsinitiative» fordert eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums in der Verfassung und in letzter Konsequenz die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU.
Der SVP-Vorstoss polarisiert, der Redebedarf im Nationalrat war gross. Für die Debatte, die am Montag begonnen hat und heute fortgesetzt wurde, hatten sich 115 Rednerinnen und Redner angemeldet. Das sind so viele wie noch nie seit dem Jahr 2000.
Die Linke wertete die Initiative als Angriff auf die bilateralen Beziehungen mit der EU unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit. Die Argumente lösten sich quasi im Wasserglas auf, hiess es. Die Beziehungen zu Europa derzeit aufs Spiel zu setzen, sei «nahe am geopolitischen Selbstmord», sagte Nationalrat Cédric Wermuth (SP/AG).
Franziska Ryser (Grüne/SG) sprach von einer «Anti-Wachstums- und Anti-Wohlstandsinitiative», die keine Hand für sinnvolle Massnahmen biete.
Fakt ist, dass die allermeisten der zugewanderten Menschen aus der EU stammen und für einen Job in die Schweiz kommen. Entsprechend ging die SVP-Vorlage auch vielen Bürgerlichen deutlich zu weit. Die SVP schiebe das Argument der Nachhaltigkeit vor, meine aber ihr Feindbild, die Asylmigration, so Matthias Samuel Jauslin (GLP/AG): «Sie blendet aus, dass die Schweiz Arbeitskräfte aus dem Ausland braucht.»
Dies sah auch Regine Sauter (FDP/ZH) so. Wegen des demografischen Wandels steige der Bedarf nach Fachkräften aus der EU weiter, etwa im Gesundheitswesen.
Einzig ein Teil der Mitte-Fraktion zeigte sich kompromissbereit und votierte für einen weniger drastischen direkten Gegenvorschlag. Man wolle steuern statt blockieren, sagte Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL). «Die Lösungen liegen längst auf dem Tisch: Eine gezielte Steuerung der Zuwanderung nach den Bedürfnissen von Arbeitsmarkt und Gesellschaft, wie sie unser Gegenentwurf vorsieht.»
Letzten Endes waren sowohl Gegenvorschlag auch als «Nachhaltigkeitsinitiative» chancenlos. Nach einer insgesamt rund elfstündigen Marathondebatte folgte der Nationalrat der Haltung des Bundesrates und sprach sich mit 121 zu 64 Stimmen bei 6 Enthaltungen gegen den Vorstoss aus. Nur ein Sturm im Wasserglas also?
Die Volksinitiative geht nun an den Ständerat. Auch dort dürfte sie kaum eine Chance haben. Doch allein die heutige knapp 7.5-stündige Diskussion im Nationalrat – die wohl längste Debatte über eine Volksinitiative seit 25 Jahren – zeigt: Die Zuwanderung bleibt das politische Topthema. Voraussichtlich im Sommer 2026 kann die Bevölkerung über die SVP-Initiative abstimmen.