Zum Inhalt springen

Krieg in der Ukraine Das sagt die Politik zu Schweizer Munitionslieferungen

So reagieren die Schweizer Parteien auf den Entscheid des Bundes, dass Deutschland keine Schweizer Munition an die Ukraine weiterliefern darf.

Am Sonntag ist bekannt geworden, dass die Schweiz Waffenlieferungen aus Deutschland mit Schweizer Munition an die Ukraine verhindert hat. Nach diesem Entscheid forderte Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister den Bundesrat auf, die Munitionslieferung zu erlauben. In einem Tweet schrieb er, dass dieser die Kompetenzen hätte, den Export von Schweizer Waffenbestandteilen in die Ukraine zu ermöglichen.

So reagieren die Parteien

Jürg Grossen, Präsident der Grünliberalen, sagt, der Bundesrat könne dies nicht im Alleingang entscheiden, sondern solle dem Parlament einen Vorschlag unterbreiten: «Waffen oder zumindest Munition, die über Deutschland geliefert wird, soll auch in der Ukraine zum Einsatz kommen. Wenn wir das wollen, müssten wir eine Gesetzesänderung auf den Weg schicken.» Bereits in der Sondersession Anfang Mai könnte dies beschlossen werden, sagt Grossen.

Die Grünen-Fraktionschefin Aline Trede sieht das anders: «Die Neutralität verbietet es der Schweiz ganz klar, an kriegstreibende Nationen oder indirekt kriegstreibende Nationen Waffen zu liefern.» Deshalb sei der Entscheid des Bundes richtig.

Die Neutralität verbietet es der Schweiz ganz klar, an kriegstreibende Nationen oder indirekt kriegstreibende Nationen Waffen zu liefern.
Autor: Aline Trede Nationalrätin (Grüne/BE)

Auch SVP-Ständerat Werner Salzmann lehnt eine Lockerung im Gesetz ab und beruft sich auf das Neutralitätsrecht und das Kriegsmaterialgesetz. «Primär geht es um die Neutralität, weil wir mit solchen Exporten in Länder, die im Krieg beteiligt sind, das Neutralitätsrecht verletzen», sagt Salzmann.

Klar ist, die Schweizer Neutralität darf im Kern nicht beschnitten werden.
Autor: Thierry Burkart FDP-Präsident, Ständerat (FDP/AG)

FDP-Präsident Thierry Burkart sagt, man müsse sich über eine Anpassung der Waffenausfuhr-Gesetzgebung unterhalten. «Klar ist aber: Die Schweizer Neutralität darf im Kern nicht beschnitten werden. Das heisst, dass direkte Lieferungen an kriegsführende Parteien auch in Zukunft nicht erlaubt sein sollen.»

Deshalb hat das Seco die Anfragen abgelehnt

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat auf Anfrage von SRF bestätigt, dass zwei Anfragen von Deutschland zur Weitergabe von zuvor aus der Schweiz erhaltener Munition an die Ukraine eingegangen seien. «Bei den beiden Anfragen Deutschlands handelte es sich nicht um Munition für den Schützenpanzer ‹Marder›», schreibt das Seco.

Für Kriegsmaterialexporte an staatliche Endempfänger verlange die Schweiz grundsätzlich eine sogenannte Nichtwiederausfuhr-Erklärung des Empfängerlandes – das heisst, das Empfängerland verpflichte sich, das aus der Schweiz erhaltene Kriegsmaterial nicht ohne das vorherige Einverständnis der Schweiz weiterzugeben.

Das sagt das Kriegsmaterialgesetz

Box aufklappen Box zuklappen

«Gestützt auf Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe a Kriegsmaterialverordnung werden Gesuche für die Ausfuhr von Kriegsmaterial nicht bewilligt, wenn das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist», erklärt das Seco gegenüber SRF den Entscheid.

Aufgrund der Dauer und der Intensität der Kampfhandlungen zwischen Russland und der Ukraine liege bei beiden Ländern eine solche Verwicklung in einen internationalen bewaffneten Konflikt vor, schreibt das Seco. Deshalb seien Kriegsmaterialausfuhren in beide Länder von Gesetzes wegen zwingend abzulehnen.

Am 1. Mai 2022 trete das aufgrund der Korrektur-Initiative revidierte Kriegsmaterialgesetz in Kraft, wo das genannte Ablehnungskriterium sich dann in Artikel 22a Absatz 2 Buchstabe a Kriegsmaterialgesetz befinde, so das Seco weiter.

Zudem wurde kürzlich eine neue Regelung eingeführt, damit auch keine einzelnen Bauteile von Waffensystemen über europäische Länder nach Russland oder in die Ukraine gelangen, erklärt das Seco weiter.

Für alle definitiven Ausfuhren an nicht-staatliche Endempfänger müsse eine Bestätigung vorgelegt werden, dass das Kriegsmaterial weder in die Russische Föderation noch in die Ukraine reexportiert, verkauft, vermietet, verliehen oder gespendet wird. Dabei handle es sich um eine vorsorgliche Massnahme.

Was tun die Russen gegen Waffen aus dem Westen?

Box aufklappen Box zuklappen
Soldat in Schützengraben mit einer Panzerabwehrrakete auf der Schulter.
Legende: Reuters

Auch wenn aus der Schweiz kein Kriegsmaterial oder Waffenteile in die Konfliktregion gelangen – die Ukraine erhält neben Panzer- und Flugabwehrraketen sowie Munition inzwischen unter anderem offenbar auch schwere Waffen wie Artilleriegeschütze und Panzer aus dem Westen. Moskau sieht das gar nicht gern und hat insbesondere die USA wiederholt vor Waffenlieferungen an die Ukraine gewarnt. «Doch bislang bleibt es beim verbalen Protest der Russen – sie können schlicht nicht viel dagegen tun», sagt der frühere SRF-Korrespondent in Moskau, David Nauer.

Um die auf vielen unterschiedlichen Wegen aus Polen, Rumänien oder der Slowakei in den Osten der Ukraine gelangenden Waffentransporte zu unterbinden, müssten die Russen den Westen der Ukraine in viel stärkerem Mass bombardieren als bisher, etwa, um Verkehrswege zu unterbrechen. «Dazu sind sie bisher offenbar nicht bereit», stellt Nauer fest. Doch ewig werden die Russen den Waffenlieferungen an die Ukraine aus dem Westen wohl nicht einfach zuschauen. «Gefährlich wird es, wenn die Russen ihre Kriegsziele nicht erreichen, zumindest Teile der Ostukraine zu erobern», glaubt Nauer.

Laut Experten könnte der Kreml dann womöglich eine Mobilmachung anordnen, um massiv mehr Truppen zur Verfügung zu haben oder sogar Massenvernichtungswaffen wie taktische Atombomben oder Chemiewaffen einsetzen, so Nauer. «Im russischen Staatsfernsehen wird bereits unverhohlen mit dem Einsatz von Atombomben gedroht.» Immerhin: Die Amerikaner sähen derzeit noch keine Anzeichen dafür, dass eine solche Eskalation unmittelbar bevorsteht.

Herkunft der Anfragen ist unklar

Der von der Schweiz abgeschlagene Antrag sei nicht von der Bundesregierung, sondern aus der Industrie gekommen, sagte ein deutscher Regierungssprecher an einer Medienkonferenz am Montag gegenüber SRF. Zum genauen Zeitpunkt des Antrags könne sich das Verteidigungsministerium nicht äussern, da der Antrag aus der Industrie kam.

Das Seco hingegen schreibt gegenüber SRF, dass die Anfragen Deutschlands nicht aus der Industrie, sondern von einer deutschen Behörde stammten.

Tagesschau, 25.04.2022, 19:30 Uhr

Meistgelesene Artikel