Im Dezember erkrankte die 41-jährige Ostschweizerin Michèle an Corona. Sie machte, wie sie selber sagt, einen mittelschweren Krankheitsverlauf durch. Drei Wochen hütete sie das Bett, dann glaubte sie, die Krankheit überwunden zu haben. Doch als die Marketingspezialistin am Computer einen Gutscheincode eintippen wollte, konnte sie zwar die Buchstaben scharf sehen, aber nicht lesen, was da geschrieben stand.
Dieser «Aussetzer» war eine erste Langzeitfolge ihrer Corona-Erkrankung. Weitere Symptome wie Erschöpfungszustände oder Muskelschmerzen kamen dazu. Am meisten beunruhigen Michèle aber ihre neurologischen Probleme. Sie habe das Gefühl, als sei ihr Hirn ständig vernebelt. Dazu kämen Wortfindungsstörungen und Gedächtnislücken.
Eine Krankheit viele Symptome
Long-Covid ist keine klar identifizierbare Krankheit, sondern ein Syndrom mit vielen Gesichtern. Es treten ganz unterschiedliche Symptome auf. Nach einer Befragung unter Betroffenen wurden die Beschwerden der Erkrankten in 13 Felder eingeteilt. Sie können den Kreislauf betreffen, aber auch den Schlaf oder die Atmung. Die Symptome reichen von Übelkeit bis zu Haarausfall und von Atemnot bis Geschmacksverlust.
Diese Vielfalt an Beschwerden und Symptomen macht es schwierig, die Krankheit genau zu diagnostizieren. Eine einheitliche Definition existiert nicht. Von Long-Covid oder dem Post-Covid-Syndrom wird gesprochen, wenn eine Patientin auch zwölf Wochen nach ihrer Covid-19-Erkrankung unter Symptomen leidet.
Wie viele Menschen in der Schweiz von Long-Covid betroffen sind, ist nicht klar. Je nach Studie oder Experte gehen die Schätzungen weit auseinander. Es wird aber damit gerechnet, dass mindestens zehn Prozent aller Infizierten zwölf Wochen lang Symptome verspüren.
Man weiss noch zu wenig
«Long-Covid ist eine neue Krankheit, über die man noch nicht viel weiss», sagt Michael Schlunegger, Geschäftsführer der Lunge Zürich, der Zürcher Sektion der Lungenliga. Er steht an der Spitze des neu gegründeten Long-Covid-Netzwerks Altea. Ziel dieses Netzwerks ist es, Betroffene, Ärztinnen und Forscher zusammenzubringen und im gemeinsamen Austausch mehr über die Krankheit zu erfahren. Die Plattform ist seit einigen Wochen in Betrieb und befindet sich noch im Aufbau.
Vielen Betroffenen hilft der Austausch mit anderen Menschen, die in derselben Situation sind. Das ging auch der Ostschweizerin Michèle so. Sie fand auf Facebook eine Gruppe von Long-Covid-Betroffenen, mit der sie sich austauscht. «Wenn man hört, dass andere die gleichen Symptome und Probleme haben, weiss man wenigstens, dass man sich die Krankheit nicht einbildet.» Das ist ein erster, wichtiger Schritt. Denn oft werden Patientinnen und Patienten, die unter den Folgen einer Covid-19-Erkrankung leiden, nicht ernst genommen.