Im Walliser Dörfchen Blatten zeigt sich in diesen Tagen, welche Macht die Natur auch heute noch über die Menschen hat: Millionen Kubikmeter Gestein drohen ins Tal hinunterzustürzen. Die Ungewissheit ist gross, ebenso wie die Sorge um Hab und Gut. Und ganz einfach das Zuhause.
Immerhin: Die Menschen konnten rechtzeitig evakuiert werden. Denn das Kleine Nesthorn, wo der Fels derzeit rutscht und bröckelt, wird ständig überwacht. Und mit ihm auch viele andere Berge in den Schweizer Alpen.
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Bild 1 von 2. Welch existenzielle Bedeutung die Massnahmen haben, zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher: Bei einem verheerenden Bergsturz im Jahr 1806 wurden die Dörfer Goldau und Röthen im Kanton Schwyz komplett zerstört. Bildquelle: Keystone / Photopress.
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Bild 2 von 2. 457 Menschen kamen beim Bergsturz von Goldau ums Leben. Damals donnerten etwa 35 Millionen Kubikmeter Gestein ins Tal. Zum Vergleich: Am Kleinen Nesthorn rechnen Experten mit bis zu fünf Millionen Kubikmetern Material. Bildquelle: Keystone / Alessandro della Bella.
Aber wie funktioniert das lebensrettende Frühwarnsystem? Einer, der diese Frage beantworten kann, ist Simon Löw. «Wir haben heute unglaubliche Möglichkeiten, die Bewegungen am Berg zu verfolgen», sagt der emeritierte Geologie-Professor an der ETH Zürich.
Hightech am Berg
Am, im und über dem Berg kommt Hightech zum Einsatz: GPS-Sensoren, lasergestützte Reflektoren und hochauflösende Kameras liefern Daten über Erd- und Felsverschiebungen. Hänge werden gescannt und Radarsysteme schlagen Alarm, wenn sich Gestein löst. Auch die sogenannte Fernerkundung durch Satelliten, Drohnen oder Flugzeuge liefere heute enorm präzise Informationen, sagt Löw.
Der mögliche Bergsturz am Kleinen Nesthorn kommt also nicht unerwartet. Ungewöhnlich ist allerdings, wie schnell sich der Fels innerhalb weniger Tage bewegt hat. «Dieses Zeitfenster ist sehr kurz, um eine Absturzprognose zu machen», so der langjährige ETH-Forscher.
Wo Berg- und Felsstürze in der Schweiz drohen, wird mittlerweile mit Tausenden Sensoren und Kameras überwacht. Auch durch spezialisierte Firmen, die häufig im Auftrag von Bund und Kantonen oder auch der SBB und Bergbahnen arbeiten. Das Ziel: Menschenleben schützen und auch verhindern, dass Verkehrswege blockiert werden.
Eine dieser Firmen ist die Innet Monitoring AG. Geschäftsleiter Christian Ruckstuhl erklärt, wie die Zusammenarbeit verläuft: Die Firma wertet die erfassten Daten aus und teilt diese auch jederzeit mit den Behörden. «Sobald etwas in Bewegung ist, erhalten sie aktive Push-Warnungen per E-Mail und SMS.» Die Alarmierung und allfällige Evakuierung der Bevölkerung sei dann natürlich Sache der Behörden.
Überwacht wird nur, wo Gefahr droht
Heute liefern Satelliten grossflächig Radaraufnahmen der Schweizer Alpen. Darauf erkennen Expertinnen und Experten, ob und welche Hänge sich bewegen. Es gebe aber auch blinde Flecken, bei denen man auf die Beobachtung vor Ort angewiesen sei, sagt Robert Kenner im Tagesgespräch von SRF. Er forscht beim Institut für Schnee- und Lawinenforschung zur alpinen Umwelt und Naturgefahren.
Tritt lokal vermehrt Steinschlag auf, kann das auf eine grössere Hanginstabilität hinweisen. Gleiches gilt für Risse in Boden, Gestein und Gebäuden. «Sobald man sieht, dass etwas in Bewegung gerät, werden dort Messsysteme installiert», so Kenner. Wo welche Methoden zum Einsatz kommen, unterscheidet sich.
Schliesslich spielen laut Kenner auch das Wetter und Klima eine Rolle dabei, wo und wann Gefahr droht. All diese Faktoren fliessen in die Gefahrenanalyse mit ein.
Im Wallis gibt es gemäss dem Forscher etwa fünfzig Orte, wo kleine Felsstürze möglich wären. Auf dieser Liste, die vor einigen Jahren zusammengetragen wurde, steht auch das Kleine Nesthorn, das derzeit Blatten bedroht. «Die Studienerkenntnisse ermöglichen es dem Kanton nun auch, proaktiv zu agieren», schliesst Kenner.