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Mitholz: Schwieriger Umzug
Aus Schweiz aktuell vom 21.02.2023.
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Räumung Munitionslager Mitholz «257 Jahre Familiengeschichte beerdigt»: Schicksale aus Mitholz

Die ersten neun Familien haben die Gegend um das Munitionslager im Berner Oberland verlassen. Obschon das Dorf Mitholz bald eine lärmige Baustelle ist, wollen andere bleiben. Das ist ihre Geschichte.

Seit einem Jahr wissen 51 Mitholzerinnen und Mitholzer, dass sie während der Räumung des Muntionslagers ihr Dorf verlassen müssen. Andere dürfen bleiben, wenn die 3500 Tonnen Bomben und Munition aus den explodierten Kavernen im Kandertal geholt werden.

Klar ist: Mitholz verwandelt sich ab 2025 in eine einzige, staubige und lärmende Baustelle. Neun Familien haben sich derweil schon entschieden, zu gehen.

Die einen gehen, andere wollen bleiben – obschon das VBS den Leuten empfiehlt, wegzuziehen. Was löst die endlose Geschichte um das Munitionslager Mitholz mit den betroffenen Menschen aus? Wir haben mit vier Betroffenen gesprochen.

Walter Lüthi beerdigt 257 Jahre Familiengeschichte

Minus fünf Grad zeigt das Thermometer in Mitholz an, als Walter Lüthi ein allerletztes Mal den Schlüssel ins Schloss seines Elternhauses steckt.

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Walter Lüthi: «Begrabe 257 Jahre Familiengeschichte»
Aus News-Clip vom 21.02.2023.
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Den Tränen nahe, sagt er: «Heute beerdige ich 257 Jahre Familiengeschichte. Eigentlich wollten meine Frau und ich doch hier alt werden.» Im Haus haben Lüthis zwei Töchter grossgezogen, Ende letzten Jahres haben es die Lüthis ans VBS verkauft.

Eigentlich wollten meine Frau und ich doch hier alt werden.
Autor: Walter Lüthi

Bei der Schlüsselübergabe ist das Haus leer, noch leerer als es das VBS ursprünglich gefordert hat. Für den Ausbau von Kühlschrank, Waschmaschine und Tumbler hat Walter Lüthi kämpfen müssen: «Geschenkt wird einem nichts!», bemerkt der pensionierte Spitalmitarbeiter bitter.

Walter Lüthi im ausgehöhlten Bad des Elternhauses.
Legende: Alles ist weg. Walter Lüthi im ausgehöhlten Bad des Elternhauses. SRF

Für Lüthi steht der «kleinliche Umgang» mit der Bevölkerung in krassem Widerspruch zu den Gesamtkosten von 2.6 Milliarden Franken, welche der Bundesrat für die Räumung der Munitionsreste ausgeben will.

Beratung im Parlament verzögert sich

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Über die Räumung des früheren Munitionslagers Mitholz im Berner Oberland will die zuständige Nationalratskommission erst später entscheiden. Sie wünscht zuerst eine weitere Studie, welche die Alternativen vertieft abklären soll. Mit 11 zu 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen hat die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats (SIK-N) die Beratung des Geschäfts für maximal ein Jahr sistiert, wie die Parlamentsdienste am Dienstag mitteilten. Die Mehrheit geht demnach davon aus, dass die Varianten der Verfüllung, Verkapselung und Abdichtung nicht vertieft genug geprüft worden sind. Der Bund solle deshalb eine unabhängige Untersuchung in Auftrag geben.

Der Nationalrat hätte Mitte März über den Räumungskredit in der Höhe von 2.6 Milliarden Franken entscheiden sollen. Mit dem Geld sollen ein Strassentunnel und eine Schutzgalerie für die Bahn gebaut, die verstürzte Anlage geräumt und die Munitionsrückstände fachgerecht entsorgt werden.

Nach einem gleichwertigen Einfamilienhaus – wie in Mitholz samt Pferdestall, Umschwung und Wald – haben Lüthis vergebens gesucht. Im Emmental hätten sie zwar ein, zwei schöne Einfamilienhäuser besichtigen können.

Pferd mit Lühti
Legende: Seine geliebten Pferde musste Walter Lüthi bei einem Bauer einstellen. SRF

Aber wenn ein Wohnhaus auf den ersten Blick preiswert dahergekommen sei, hätten sie mindestens noch eine halbe Million investieren müssen. Und dann immer noch keine Bleibe für ihre zwei Pferde gehabt.

Mitholz
Legende: Die Idylle trügt. Die Zukunft von Mitholz ist ungewiss. SRF

Seit Anfang Jahr wohnt Walter Lüthi im freiburgischen Heitenried. Seine Pferde hat er bei einem Bauer eingestellt. Bis zum Tod der Tiere kommt das VBS zwar für die Unterbringung auf, die geliebten Pferde weiden aber nicht mehr vor Lüthis Haus.

In Heitenried können Lüthis mit ihrer alten Heimat nicht abschliessen. Auf den Hauserwerb sollen sie noch 75'000 Franken Grundstückgewinnsteuer bezahlen, weil Lüthis statt einem Einfamilien- nun ein Zweifamilienhaus besitzen.

Das sagt das VBS zu den Vorwürfen

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Das VBS schreibt in einer Stellungnahme, dass beim Erwerb eines Ersatzobjektes die Grundstückgewinnsteuer aufgeschoben werden könne. Erst bei einem späteren Verkauf – also wenn der tatsächliche Gewinn realisiert werde, sei sie geschuldet. Da die Steuerfragen nicht einfach seien, könnten Mitholzerinnen und Mitholzer gratis die Arbeit von Fachexperten nutzen.

Dabei habe das VBS den Mitholzerinnen und Mitholzer versprochen, dass keine Gewinnsteuern generiert würden: «Ich finde es wahnsinnig daneben, dass wir vom Staat vertrieben werden und dieser uns noch finanziell belangen will.»

Die Künzis haben trotz Neubau weniger Komfort

Direkt unterhalb der berüchtigten Fluh von Mitholz leben Albert und Irene Künzi.

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Albert Künzi: «Geld reicht nicht für ein Einfamilienhaus»
Aus News-Clip vom 21.02.2023.
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Sie haben bereits konkrete Baupläne auf dem Tisch, denn für den Bau der Eisenbahngalerie muss ihr heutiges Wohnhaus 2025 weichen.

Timeline: Das ist die Geschichte von Mitholz

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  • Im Zweiten Weltkrieg war in Mitholz ein unterirdisches militärisches Munitionslager gebaut worden.
  • Bei einer Explosion wurde das Lager 1947 verschüttet. Neun Personen starben.
  • 2018 kamen Experten zum Schluss, dass vom Lager eine grössere Gefahr ausgeht, als bis dahin angenommen.
  • Im Dezember 2020 hat der Bundesrat beschlossen, die Munitionsrückstände definitiv zu räumen. Zunächst ging man davon aus, dass das ganze Dorf geräumt werden muss.
  • Im Frühling 2022 kam das VBS zu einer neuen Einschätzung: Während der Räumung des Lagers müssen rund 50 Personen ihre Häuser verlassen. Rund 90 weitere Personen können in Mitholz bleiben.
  • 2025 sollen die Bauarbeiten beginnen.

Am Rande von Mitholz und im Talboden von Kandergrund hat die Gemeinde Land eingezont. In drei Jahren bereits wollen Künzis ihr neues Zuhause beziehen.

Ich will hierbleiben, denn ich gehöre hierhin.
Autor: Albert Künzi

Ein Wegzug ist für den amtierenden Gemeinderat keine Option. Er sei ein waschechter Mitholzer: «Ich will hierbleiben, denn ich gehöre hierhin!»

Künzis
Legende: Die Künzis studieren Baupläne für ihr neues Heim. SRF

Den Blick auf die geliebten Berge wird es auch an Künzis neuem Standort im Kandergrund geben. Jedoch genüge die Entschädigung des VBS nicht für den Neubau eines Einfamilienhauses: «Reich werden wir Mitholzer nicht!»

Albert Künzi
Legende: Albert Künzi plant ein Zweifamilienhaus in Kandergrund. SRF

Buschauffeur Albert Künzi geht diesen Frühling in Pension. Sein Plan ist es, mit jemandem ein Zweifamilienhaus zu bauen.

«Das halbe Jahr sind wir auf der Alp» – Familie Rauber will bleiben

Anfang März 2022 gab es für Urs und Margrit Rauber eine dicke Überraschung. Die junge Bauernfamilie darf Wohnhaus und Land während der Räumung des explodierten Munitionsdepots nun doch nutzen.

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Margrit Rauber: «Wir haben uns entschieden, zu bleiben»
Aus News-Clip vom 21.02.2023.
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Denn das Hab und Gut der Raubers steht nicht mehr im Sicherheitsperimeter, wo keine Wohnnutzungen erlaubt sind. «Jahrelang waren wir nur auf Standby», sagt Margrit Rauber. Über Weihnachten hätten sie jetzt aber den Entscheid getroffen, zu bleiben.

Grafik Mitholz
Legende: Grafik: SRF

Aber ausgerechnet in Raubers Nachbarschaft, wo die Leute selbst über Verbleib oder Wegzug entscheiden können, sind bis heute am meisten Personen aus Mitholz weggezogen.

Manchmal kämen da schon Zweifel auf, ob man die richtige Entscheidung getroffen habe, sagt Bauer Urs Rauber. Ein Grund für die Wegzüge ist der Tunnel für die Strassenumfahrung, der in direkter Nähe in den Berg getrieben werden soll.

Urs Rauber mit Kühen
Legende: Urs Rauber hat sich entschieden, mit seinen Kühen in Mitholz zu blieben. SRF

Wegen Staub, Lärm und Baustellenverkehr empfiehlt das VBS der Bauernfamilie weiterhin, aus Mitholz wegzuziehen. Bäuerin Rauber will davon nichts wissen. Im Sommerhalbjahr seien sie ja auf der Alp, Baustellen könne es ja überall geben. Trotzdem fügt sie an: «In Stein gemeisselt ist unser Entscheid nicht.»

Familie Trachsel will Politikern die Augen öffnen

Mehrmals pro Jahr treffen sich in Paul und Regina Trachsels Haus direkt am Eisenbahndamm von Mitholz vier Generationen der Familie. In den Augen der 84-jährigen Regina hat das Räumungsprojekt dem Dorfleben bereits arg zugesetzt.

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Annie-Louise Trachsel: «Das VBS macht neue Angebote»
Aus News-Clip vom 21.02.2023.
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Die Dunkelheit der Nacht mache traurig sichtbar, in wie vielen Häuser bereits heute kein Licht mehr angehe.

Haus in Mitholz
Legende: Viele Häuser in Mitholz sind bereits leer. SRF

Grosstochter Annie-Louise wohnt in Frutigen. Sie hat sich noch nicht damit abgefunden, dass das heutige Mitholz verschwindet. Zusammen mit ihrer Schwester ist sie daran, die Politik zu beackern, damit diese den 2.6 Milliarden schweren Räumungskredit in der Frühlingssession nicht einfach so durchwinkt: «Es gibt andere, bessere Lösungen!» Da sind sich die beiden Schwestern sicher.

Mit dem VBS hat Marie-Louise Trachsel für ihre betagten Eltern erst kürzlich ausgehandelt, dass diese bis 2030 in ihrem Haus wohnen dürfen. Überhaupt lohne es sich, zuzuwarten, fügt sie an. Beim Kaufangebot habe das VBS bereits mehrmals nachgebessert. Unterschrieben hat die Familie Trachsel trotzdem noch keines.

Schweiz aktuell, 21.02.2022, 19 Uhr;

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