Alle politischen Lager sind sich darin einig, dass die Heiratsstrafe abgeschafft werden muss. Doch die letzte Woche vom Parlament knapp genehmigte Individualbesteuerung sei dafür die falsche Lösung, sagt der neue Mitte-Präsident Philipp Matthias Bregy.
Die Vorlage schaffe neue Ungerechtigkeiten: «Ehepaare mit nur einem Einkommen würden künftig deutlich höher besteuert als solche mit zwei ähnlich hohen Einkommen», so Bregy bei der Lancierung des Referendums.
Wir stehen für ein liberales System, in dem jeder sein Familienmodell selber wählen kann.
Kommt es zu einer Volksabstimmung, geht es also auch um die Frage, ob der Staat steuerliche Anreize setzen soll, damit beide Partnerinnen und Partner arbeiten.
Jeder soll sein Familienmodell selber wählen
Geht es der Allianz aus Mitte, SVP, EVP und EDU also vor allem darum, die traditionelle Familie mit dem Einverdienermodell zu verteidigen? «Wir stehen für ein liberales System, in dem jeder sein Familienmodell selber wählen kann», betont Bregy.
Für SVP-Nationalrat Martin Hübscher ist ebenfalls wichtig, dass man sein Familienmodell selber wählen könne, ohne dadurch finanziell benachteiligt zu sein. «Wir wollen das nicht durch den Staat vorschreiben lassen.»
Die Befürworterinnen der Individualbesteuerung betonen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung vom Systemwechsel profitieren würde. FDP, SP, Grüne und GLP sind deshalb zuversichtlich, dass sie eine Abstimmung gewinnen würden.
Susanne Vincenz Stauffacher, FDP-Nationalrätin und Präsidentin des Initiativkomitees der Steuergerechtigkeitsinitiative geht davon aus, dass die profitierende Mehrheit dies bei der Abstimmung würdigen werde.
Politologe Hermann: Interessante Konstellation
Für den Polit-Experten Michael Hermann ist das Referendum gegen die Individualbesteuerung aus mehreren Gründen interessant. So sei es etwa unüblich, dass die Mitte ein Referendum lanciere. «Die Mitte macht sowohl im National- wie auch im Ständerat meist Mehrheit einer Vorlage. Deshalb muss sie auch kein Referendum ergreifen.»
Und auch, dass die Mitte mit der SVP zusammenspanne, sei in der letzten Zeit eher ungewöhnlich, so Hermann. Denn die Mitte habe sich in letzter Zeit eher etwas nach links bewegt – während die SVP tendenziell eher mit der FDP zusammenspanne.
Das Ganze habe eben mit dem Thema Familienpolitik zu tun, so Hermann. Und da würden sich die Mitte und die SVP finden. So unterstützt die Volkspartei die Mitte-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe. Diese verlangt, dass bei Ehepaaren zwei Steuerberechnungen vorgenommen werden: eine wie bisher und eine Berechnung, als ob das Paar nicht verheiratet wäre. Das Paar müsste dann bloss den tieferen Betrag zahlen.
Kräftemessen konservativ gegen progressiv
Es zeichnet sich also bei der Individualbesteuerung ein Kräftemessen konservativ gegen progressiv ab. Und auch der Stadt-Land-Graben wird eine Rolle spielen: Eine Mehrheit der Kantone lehnt die Individualbesteuerung ab, der Städteverband hingegen ist dafür.
Politologe Hermann gibt dem Referendum gute Chancen: Schliesslich seien eher die liberalen Eliten für die Vorlage, und diese seien im Parlament tendenziell stärker vertreten als in der Bevölkerung. Ausserdem sei es ohnehin schwierig, Reformen im Steuer- oder Finanzbereich beim Volk durchzubringen.
Jetzt müssen die Gegner der Individualbesteuerung aber zuerst die 50'000 Unterschriften für das Referendum sammeln. Erst dann zeigt sich, ob es zum Kräftemessen an der Urne kommt.