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Sans Papiers haben in Genf mehr Rechte
Aus Rendez-vous vom 29.12.2020. Bild: Keystone
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Sans-Papiers im Kanton Genf Genf: Arbeitsgericht fragt nicht nach Aufenthaltsbewilligung

Papierlose haben kein Arbeitsrecht – ausser im Kanton Genf. Dort meldet sie das Arbeitsgericht nicht dem Migrationsamt.

Werden Sans-Papiers ausgebeutet, können sie sich in den meisten Kantonen nicht vor dem Arbeitsgericht dagegen wehren. Denn reichen sie eine Klage ein, müssen sie damit rechnen, dass ihr Fall den Migrationsbehörde gemeldet wird. Dann gibt es keine Gerechtigkeit gegenüber einem Arbeitgeber, sondern es droht die Ausschaffung.

Anders in Genf: Dort hätten Sans-Papiers nichts zu befürchten, sagt Thierry Horner, Sekretär der Genfer Gewerkschaft SIT. Allein seine Gewerkschaft vertrete mehrere Dutzend Fälle pro Jahr vor Gericht.

76'000 Sans-Papiers leben in der Schweiz

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Als Sans-Papiers werden Menschen bezeichnet, die sich ohne eine Aufenthaltsberechtigung in einem Land aufhalten. Die meisten sind auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen in die Schweiz migriert und gehen einer Erwerbstätigkeit nach. Sie sind hauptsächlich in Branchen tätig, die durch Schweizer oder EU-Staatsangehörige nicht vollständig abgedeckt werden: Dies betrifft insbesondere private Haushalte, die Gastronomie, die Hotellerie, das Baugewerbe und die Landwirtschaft. Personen aus Zentral- und Südamerika stellen die grösste Gruppe von Sans-Papiers, gefolgt von Personen aus Osteuropa.

Der Bundesrat schätzt, dass in der Schweiz mindestens 76'000 Sans-Papiers leben.

Dass es wichtig sei, seine Rechte geltend machen zu können, zeige auch die Pandemie, sagt Gewerkschafter Horner. Komme eine Pandemie, würden Arbeitgeber die Leute einfach nicht weiter beschäftigen. Sans-Papiers könnten dann keinerlei Ansprüche geltend machen. Aber sie könnten in Genf vor das Arbeitsgericht ziehen.

Aufenthaltsstatus nicht geklärt

Das Genfer Arbeitsgericht geht bei einer Verhandlung einfach der Frage nach der Aufenthaltsbewilligung nicht nach. So gibt es den Migrationsbehörde auch nichts zu melden.

In Genf gibt es gemäss Schätzungen 13’000 Sans-Papiers, 27 auf 1000 Einwohner, der höchste Anteil in der Schweiz. Und es gibt eine besondere Aufmerksamkeit für das Thema. In den letzten Jahren wurden in einem Schweizer Pilotprojekt namens Papyrus fast 2400 Sans-Papiers regularisiert, ein einmaliger Vorgang in der Schweiz. Die Genfer Arbeitgeber standen hinter Papyrus und tragen auch den Zugang zum Arbeitsgericht mit.

Eine Frau bedankt sich für die Legalisierung des Aufenthaltstatus im Rahmen der Aktion Papyrus in Genf 2017.
Legende: Eine Frau bedankt sich für die Legalisierung des Aufenthaltstatus im Rahmen der Aktion Papyrus in Genf 2017. Keystone

Für sie steht der Kampf gegen unlauteren Wettbewerb und Schwarzarbeit im Zentrum und nicht die Ausschaffung von Personen ohne Aufenthaltsbewilligung.

Nicolas Rufener, Generalsekretär des Dachverbandes der Genfer Bauwirtschaft, erklärte das anhand eines Beispiels: «Wenn Sie zu schnell am Steuer erwischt werden, dann werden Ihre Daten nicht an die Steuerverwaltung weitergeleitet, um zu kontrollieren, ob Sie ihre Steuern bezahlt haben. Wenn Sie gegen Ihren Arbeitgeber vorgehen, dann muss man auch nicht der Polizei melden, dass Sie eventuell keine Aufenthaltsbewilligung haben.»

Die Genfer Ausnahme gilt nur für arbeitsrechtliche Verfahren. Wer vor die Strafjustiz kommt, wird den Migrationsbehörde gemeldet. Aber auch der Zugang zum Arbeitsgericht ist eine Ausnahme in der Schweiz. In Zentren wie Basel oder Zürich, in denen es auch viele Sans-Papiers gibt, riskiert man eine Ausschaffung, wenn man vor Gericht geht.

Hausangestellte ohne legalen Aufenthaltsstatus demonstrieren für ihre Recht. (Archiv 2014)
Legende: Hausangestellte ohne legalen Aufenthaltsstatus demonstrieren für ihre Rechte. (Archiv 2014) Keystone

Das ist der Schweizer Plattform für Sans-Papiers ein Dorn im Auge. Co-Präsidentin und SP-Nationalrätin Mattea Meyer sagt: «Gerade für Sans-Papiers, die oft in sehr prekären Arbeitsbedingungen arbeiten, ist es wichtig, dass sie ihre Rechte wahrnehmen können.»

«Pragmatisch, aber problematisch»

Fabio Regazzi ist Präsident des Schweizerischen Gewerbeverband und CVP-Nationalrat aus dem Kanton Tessin. Für ihn ist die Genfer Lösung «ein Ausweg, aber das löst die Grundsatzfrage nicht. Diesen Konflikt sollte man ein für alle Mal lösen.» Was Genf mache, sei pragmatisch, aber staatspolitisch problematisch, so Regazzi.

Im Bericht des Bundesrates gibt es zur Genfer Praxis keine Stellungnahme. Der Bund hält aber allgemein fest, dass es einen Spielraum bei der Bekanntgabe der Personalien in einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht gibt. Trotzdem dürfte der Kanton Genf eine Ausnahme bleiben. In anderen Kantonen wird niemand eine Anzeige einreichen, wenn er die Ausschaffung riskiert.

Rendez-vous vom 29.12.2020

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