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Schweiz «Arena»: Der Fall der getöteten Sozialtherapeutin polarisiert

Der Tod der Genfer Sozialtherapeutin wühlt viele Schweizer auf. Wer ist schuld? Was gilt es im Strafvollzug zu verbessern? Politiker und Experten debattieren heftig.

Die Teilnehmer

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  • Jacqueline de Quattro, Regierungsrätin FDP Liberale/VD, Sicherheitsdirektorin VD
  • Natalie Rickli, Nationalrätin SVP/ZH
  • Frank Urbaniok, Chefarzt des Psychiatrischen-Psychologischen Dienstes Kanton ZH
  • Daniel Vischer, Nationalrat Grüne/ZH

Die 34-jährige Genfer Sozialtherapeutin begleitet einen zweifach verurteilten Vergewaltiger zu einer Reitstunde. Nun ist sie tot. Ermordet vom rückfällig gewordenen Gewalttäter.

Claude Dubois, verurteilter Mörder und Vergewaltiger, entführt die 19-jährige Marie und tötet sie. Den letzten Teil einer Strafe von 20 Jahren durfte er im erleichterten Vollzug verbüssen – daheim. Im Kanton Basel-Stadt durfte Serienvergewaltiger Markus Wenger (26 Opfer) eine Fussfessel tragen – bis er erneut rückfällig wurde.

Auch im Mordfall Lucie war der Täter der Polizei einschlägig bekannt. Der Mann war mehrfach vorbestraft, und zwar wegen Vermögensdelikten, Drogen- und Gewaltvergehen.

Wie kann es zu solchen falschen Risikoeinschätzungen kommen? Entlang dieser Frage verlief die «Arena»-Debatte.

Anderes Verständnis

Die Waadtländer Sicherheitsdirektorin Jacqueline de Quattro (FDP) kritisiert, dass der Täter zu stark im Vordergrund stehe. «Unser Justizsystem kümmert sich mehr um die Täter als um die Opfer.» Dies gelte besonders für die Westschweiz.

Der französischen Tradition entsprechend würden die Menschenrechte des Einzelnen hoch gewichtet – zu hoch. Dort würden Ärzte und Therapeuten wegen des Arztgeheimnisses Informationen unzureichend an die Haftanstalten weitergeben. Dieser Missstand zeigt sich auch im Fall der getöteten Sozialtherapeutin.

In der Deutschschweiz funktioniert dieser Austausch besser. Das sagt auch Frank Urbaniok, Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes Kanton Zürich. «In der Deutschschweiz hat man ein anderes Verständnis von Informationsfluss und Informationsaustausch.» Für Risikobeurteilungen sei es aber zwingend notwendig, dass der der die Einschätzung macht alle Informationen habe.

Ausgang oder Hafturlaub?

Es gehe nicht, dass jeder Kanton eigene Regeln für den Strafvollzug habe, kritisiert de Quattro. Auch inhaltlich hat die Regierungsrätin klare Vorstellungen: Nur Häftlinge, die eindeutig Fortschritte gemacht hätten und die von mehreren, unabhängigen Experten einstimmig als nicht mehr gefährlich eingestuft würden, dürften gegen Ende der Strafzeit an die Freiheit gewöhnt werden.

Für SVP-Nationalrätin Natalie Rickli hingegen ist klar: Hafturlaube und «Ausgänge» für Verwahrte sollen grundsätzlich nicht erlaubt sein. Zudem kritisiert sie, dass man Therapien der Verwahrung vorziehe. Die Eingliederung des Täters sei oft höher gewertet als der Sicherheitsaspekt. «Therapien sind für den Täter viel härter als der normale Vollzug», erwidert jedoch Nationalrat Daniel Vischer. Urbaniok pflichtet ihm bei.

Handlungsbedarf in der Justiz

Eines ist klar: Ihr Tod verdeutlicht, es sind grosse Fehler geschehen. Da sind sich die Gesprächsteilnehmer einig. Nun müsse man herausfinden, wo genau sie im System passiert sind, sagt Urbaniok. Er warnt vor voreiligen Schlüssen.

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Für Ricklin besteht jedoch dringender Handlungsbedarf. «Wie viele Opfer braucht es bis die Politik, Justiz und die Behörden endlich handeln?», fragt sie sich. Schliesslich sei die Sicherheit der Gesellschaft Aufgabe des Staates. Sexual- und Gewaltverbrecher sollen im Wiederholungsfall automatisch verwahrt werden müssen, fordert die Nationalrätin.

Der Bund müsse stattdessen prüfen, ob die vorbildliche Praxis von Zürich bundesweit durchgesetzt werden soll, fordert Vischer. Zentral sei die Risikominimierung.

Psychiater Urbaniok plädiert für eine Professionalisierung von Risikobeuurteilungen. «Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es aber nie», sagt der Experte. Er plädiert aber dafür, dass man dem Opferschutz mehr Gewichtung beimessen soll.

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