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Schweiz im UNO-Sicherheitsrat Baeriswyl: «Es gibt ein erhöhtes Interesse an der Schweiz»

Die Schweiz steht vor ihrer vielleicht grössten aussenpolitischen Herausforderung: Sie sitzt ab 1. Januar 2023 erstmals im mächtigsten UNO-Gremium, dem Sicherheitsrat, und rückt damit in die oberste Liga der internationalen Politik auf. Ein Gespräch mit UNO-Botschafterin Pascale Baeriswyl.

Pascale Baeriswyl

UNO-Botschafterin der Schweiz

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Pascale Baeriswyl wurde 1968 in Bern geboren. Die Juristin, Historikerin und Diplomatin war von 2016 bis 2019 Staatssekretärin im Aussendepartment EDA. Darauf wurde sie vom Bundesrat zur neuen Chefin der Ständigen Mission der Schweiz bei der UNO in New York ernannt.

SRF News: Mit einem Bein steht die Schweiz schon seit Anfang Oktober im Sicherheitsrat. Sie nimmt an allen Sitzungen teil, auch an vertraulichen, wenngleich noch ohne Stimmrecht. Was bedeutet das für die Schweiz?

Pascale Baeriswyl: Wir haben auf einmal Zugang zu einer riesigen Menge an Informationen. Wir erhalten überall Einblick und können uns so Schritt für Schritt vorbereiten. Und wir beteiligen uns zum Teil auch schon an den Diskussionen. Wir haben uns zudem nun drei Wochen selber getestet, indem wir uns so verhielten, als müssten wir selber zu allen Themen bereits Erklärungen abgeben und abstimmen. Wir sind gut vorbereitet – sofern man in einer derart schwierigen Weltlage überhaupt gut vorbereitet sein kann. 

Es ist ausgesprochen schwierig, in zentralen Fragen auch nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.

Die weltpolitischen Spannungen schlagen sich nicht zuletzt im Sicherheitsrat nieder. Wie nehmen Sie das Klima dort wahr?

Ich nehme einen grossen Kontrast wahr zwischen dem guten Verhältnis zwischen allen UNO-Botschafterinnen und -Botschaftern einerseits, und dem tiefen Misstrauen zwischen den Ländern, die sie vertreten, andererseits. Das fasziniert und erschüttert gleichzeitig. Im Ergebnis ist es derzeit ausgesprochen schwierig, in zentralen Fragen auch nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. 

Die EU ist derzeit im Sicherheitsrat nur noch mit zwei Ländern – Frankreich und Malta – vertreten. Besteht da die Erwartung, dass die Schweiz sozusagen als dritte Stimme jeweils die EU-Haltung stützt?

Wir vertreten eine unabhängige Aussenpolitik. Sie stützt sich auf das Völkerrecht und auf demokratische Werte. Dafür steht auch die EU ein. Das führt natürlich häufig zu ähnlichen Positionsbezügen. 

Versucht die EU, die Schweiz zu vereinnahmen? Erleben Sie Druck auf die Schweiz?  

Das stelle ich derzeit nicht fest. Wir arbeiten aber seit Jahren in der UNO mit den EU-Staaten gut zusammen. Das wird in den beiden Jahren, wenn wir im Sicherheitsrat sitzen, noch zunehmen. Denn es ist klar: Auch wir sind eine europäische Stimme. 

Es gibt ein erhöhtes Interesse an der Schweiz. Wir sind mit fast allen Ländern in Konsultationen.

Wie verhalten sich die Grossmächte USA, China, Russland? Gibt es eine Charmeoffensive, also Versuche, die Schweiz auf die jeweiligen Positionen einzuschwören?

Charmeoffensive würde ich das nicht nennen wollen. Aber es gibt ein erhöhtes Interesse an der Schweiz. Wir sind mit fast allen Ländern in Konsultationen. Man versucht, die jeweiligen Positionen auszuloten. Unsere Positionen sind bekannt. Man weiss in anderen Hauptstädten, dass wir uns von diesen nicht abbringen lassen. 

Mit wem will die Schweiz im Sicherheitsrat besonders eng zusammenarbeiten?

Wir wollen nicht zuletzt auch mit den drei afrikanischen Sicherheitsratsmitgliedern eng kooperieren, wo sich das anbietet. Oder mit den Staaten Lateinamerikas. Und – natürlich – mit den übrigen Europäern. Aber wir wollen zugleich unser Profil als Brückenbauerin pflegen, die zu allen einen guten Kontakt hat.

Ich würde eher zu Vorsicht mahnen, was die Erwartungen betrifft.

Die Schweiz gehört nun zwei Jahre lang zur obersten Liga in der UNO. Das schafft Zugänge zu einflussreichen Ländern und Akteuren. Kann die Schweiz das nutzen, um eigenen politische und wirtschaftliche Interessen wirkungsvoller zu vertreten?

Die Zugänge zu Informationen und zu Personen werden einfacher. Trotzdem würde ich eher zu Vorsicht mahnen, was die Erwartungen betrifft. Man kann nicht bilaterale Probleme über die Zusammenarbeit im Sicherheitsrat lösen oder dort bilaterale Fortschritte erzielen. 

Das heisst: Die derzeit angespannten Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU werden nicht am Rande des UNO-Sicherheitsrats neu aufgegleist?

Das denke ich nicht. Bilaterale Probleme muss man bilateral anschauen. Was wir aber in New York machen können mit unserer Arbeit im Sicherheitsrat, ist Goodwill schaffen, indem wir gemeinsame Werte vertreten und gemeinsame Positionen stärken. Das wollen wir natürlich tun. 

Was werden die grossen Themen im Sicherheitsrat sein in den ersten Monaten 2023?

Es gibt zum einen die reguläre Agenda. Da weiss man schon, was im Januar und Februar ansteht. Vor allem aber ist der Sicherheitsrat ein stehendes Organ, das ständig tagt und sich immer wieder zu Dringlichkeitssitzungen trifft. Allein diese Woche gab es bisher drei.

Man muss oft rasch entscheiden und steht im Schaufenster. Aber das ist für uns nicht grundsätzliches etwas Neues.

Angesichts der Weltlage wird es auch Anfang 2023 solche geben, sei es zum Problem Nordkorea, sei es zum Ukrainekrieg oder zu sich zuspitzenden Konflikten in Afrika. Da muss man oft rasch entscheiden und steht im Schaufenster. Aber das ist für uns nicht grundsätzliches etwas Neues. Das haben wir nicht zuletzt seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine gelernt.   

Die Schweiz wird zweimal auch den Vorsitz im Sicherheitsrat haben. Plant man da, eigene Themen zu lancieren, Schwerpunkte zu setzen, Initiativen zu ergreifen?

Ja, der Bundesrat hat vier Schwerpunkte definiert – den Schutz der Zivilbevölkerung, die Verbesserung der Arbeitsmethoden des Sicherheitsrates, nachhaltigen Frieden und Klimasicherheit. Der Schutz der Zivilbevölkerung wird sicher einer der Schwerpunkte während unserer Präsidentschaft im Mai 2023 sein. Es geht aber nicht nur darum, spezielle Initiativen zu ergreifen, sondern die gesteckten Ziele bei ohnehin anstehenden Entscheidungen des Sicherheitsrates einzubringen, etwa bei Erneuerungen von Mandaten... 

… Mandate für UNO-Blauhelmtruppen etwa?

Ja, aber nicht nur. Auch bei andern, wie der UNO-Mission in Afghanistan, jener in Zentralafrika oder bei UNO-Missionen im Sahel, wo etwa der Klimawandel eine grosse Herausforderung ist. 

Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.

Info3, 25.11.2022, 17:00 Uhr ; 

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