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Schweizer Strafverfolgung Das Bundesstrafgericht wird 20 Jahre alt – eine Bilanz

Am 1. April 2004 hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona (TI) seine Arbeit aufgenommen. Warum wurde dieses Gericht eingeführt? Und hat es sich bewährt? Antworten von SRF-Gerichts­korrespondentin Sibilla Bondolfi.

Sibilla Bondolfi

Gerichtskorrespondentin

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Sibilla Bondolfi ist seit 2023 Gerichtskorrespondentin von Radio SRF. Davor hat sie für den zehnsprachigen Online-Dienst Swissinfo gearbeitet. Sie ist promovierte Juristin im Bereich Verfassungsrecht und Menschenrechte.

Warum wurde das Bundesstrafgericht gegründet?

Man wollte ein Spezialgericht auf Bundesebene für komplexe Strafverfahren mit internationalen Bezügen. Und man wollte das dauernd überlastete Bundesgericht von erstinstanzlichen Fällen entlasten. Fälle, die in die Gerichtsbarkeit des Bundes fallen, zum Beispiel Terrorismus, internationale Wirtschaftskriminalität, organisiertes Verbrechen oder Sprengstoffdelikte.

Warum wurde Bellinzona als Standort gewählt?

Das war ein strukturpolitischer Entscheid: Auch der Kanton Tessin (der gut lobbyiert hatte) sollte was abbekommen. Lausanne hatte bereits das Bundesgericht, Luzern das Versicherungsgericht und St. Gallen erhielt das Bundesverwaltungsgericht. 

Ein mächtiges weisses Gebäude, fotografiert bei Azurblauem Himmel.
Legende: Das Bundesstrafgericht in Bellinzona (Bild vom 25. Juli 2018). Keystone / ALESSANDRO CRINARI

Hat sich das Bundesstrafgericht bewährt?

Da gehen die Meinungen auseinander. Die einen sagen, das Bundesstrafgericht brauche es gar nicht, die kantonale Justiz könne dessen Aufgaben ebenso gut übernehmen. Andere sagen, die kantonalen Gerichte wären fachlich und personell überfordert; gerade bei komplexen und aufwändigen Wirtschaftskriminalfällen habe sich ein eidgenössisches Spezialgericht bewährt.

Die wichtigsten Fälle des Bundesstrafgerichts

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Blatter umgeben von Medienschaffenden vor dem Bundesstrafgericht, erklärt sich gestikulierend..
Legende: Der ehemalige Präsident des Weltfussballverbands, Joseph Blatter, umgeben von Medienvertretern, gibt nach dem ersten Tag seines Prozesses vor dem Bundesstrafgericht Erklärungen an die Medien ab. Keystone/ALESSANDRO CRINARI

2016 verurteilte das Bundesstrafgericht den Schweizer Financier und Betrüger Dieter Behring , der mit seinem Schneeballsystem 800 Millionen Franken veruntreut und 1700 Personen geschädigt hatte. Das Urteil wurde vom Bundesgericht bestätigt, Behring verstarb aber vor Antritt der Haftstrafe.

2021 verurteilte das Bundesstrafgericht den liberianischen Ex-Kommandanten Alieu Kosiah wegen Gräueltaten während eines Bürgerkriegs zu 20 Jahren Haft. Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts bestätigte 2023 das Urteil.

2022 sprach das Bundesstrafgericht den ehemaligen Fifa -Präsidenten Joseph «Sepp» Blatter sowie den früheren Uefa-Chef Michel Platini frei. Blatter war vorgeworfen worden, Platini 2 Millionen Franken aus der Fifa-Kasse überwiesen zu haben, damit dieser ihn bei der Wiederwahl unterstützt. Vor Gericht konnten die beiden glaubhaft machen, dass es sich um verspätete Honorarzahlungen gehandelt habe. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Das Arbeitsklima wurde scharf kritisiert – wie sieht es heute aus?

Das Bundesstrafgericht stand ab 2019 im medialen Fokus wegen angeblichem Sexismus und Mobbing. Ein Aufsichtsbericht des Bundesgerichts entkräftete die Vorwürfe. Die Geschäfts­prüfungs­kommissionen des Parlaments (GPK) kritisierten diesen Aufsichtsbericht, konnten aber ihrerseits keine strafrechtlich relevanten Vorkommnisse am Bundesstrafgericht feststellen. Laut Alberto Fabbri, Präsident des Bundesstrafgerichts, wurden die Vorkommnisse intern aufgearbeitet und das Arbeitsklima könne heute wieder als gut bezeichnet werden. «Es ist seit rund zwei Jahren spürbar Ruhe eingekehrt.»

Wie steht es um die Kritik an der Berufungskammer? Ist eine Veränderung geplant?

Dass die 2019 geschaffene Berufungskammer am Bundesstrafgericht unter dem gleichen Dach und Vorsitz angesiedelt sei, stelle die Unabhängigkeit infrage, so die Kritik. Fabbri widerspricht: Die Unabhängigkeit sei gewährleistet. Wegen Platzmangels sei zudem eine räumliche Trennung geplant.

Die Geschäfts­prüfungs­kommissionen des Parlaments werfen dem Bundesstrafgericht ausserdem vor, aus politischem Kalkül bei den Fallzahlen, die an die Berufungskammer gelangen, tiefgestapelt zu haben, damit die Berufungskammer beim Bundesstrafgericht – und nicht beim Bundesgericht – angesiedelt wird. Die Konsequenz der tiefer angesetzten Zahlen: massiver Personalmangel nach der Schaffung der Kammer. Die Antwort aus dem Bundesstrafgericht: Es sei im Voraus schwer einzuschätzen, wie viele Fälle weitergezogen würden .

Echo der Zeit, 01.04.2024, 18:00 Uhr ; 

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