Am 1. April 2004 hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona (TI) seine Arbeit aufgenommen. Warum wurde dieses Gericht eingeführt? Und hat es sich bewährt? Antworten von SRF-Gerichtskorrespondentin Sibilla Bondolfi.
Warum wurde das Bundesstrafgericht gegründet?
Man wollte ein Spezialgericht auf Bundesebene für komplexe Strafverfahren mit internationalen Bezügen. Und man wollte das dauernd überlastete Bundesgericht von erstinstanzlichen Fällen entlasten. Fälle, die in die Gerichtsbarkeit des Bundes fallen, zum Beispiel Terrorismus, internationale Wirtschaftskriminalität, organisiertes Verbrechen oder Sprengstoffdelikte.
Warum wurde Bellinzona als Standort gewählt?
Das war ein strukturpolitischer Entscheid: Auch der Kanton Tessin (der gut lobbyiert hatte) sollte was abbekommen. Lausanne hatte bereits das Bundesgericht, Luzern das Versicherungsgericht und St. Gallen erhielt das Bundesverwaltungsgericht.
Hat sich das Bundesstrafgericht bewährt?
Da gehen die Meinungen auseinander. Die einen sagen, das Bundesstrafgericht brauche es gar nicht, die kantonale Justiz könne dessen Aufgaben ebenso gut übernehmen. Andere sagen, die kantonalen Gerichte wären fachlich und personell überfordert; gerade bei komplexen und aufwändigen Wirtschaftskriminalfällen habe sich ein eidgenössisches Spezialgericht bewährt.
Das Arbeitsklima wurde scharf kritisiert – wie sieht es heute aus?
Das Bundesstrafgericht stand ab 2019 im medialen Fokus wegen angeblichem Sexismus und Mobbing. Ein Aufsichtsbericht des Bundesgerichts entkräftete die Vorwürfe. Die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments (GPK) kritisierten diesen Aufsichtsbericht, konnten aber ihrerseits keine strafrechtlich relevanten Vorkommnisse am Bundesstrafgericht feststellen. Laut Alberto Fabbri, Präsident des Bundesstrafgerichts, wurden die Vorkommnisse intern aufgearbeitet und das Arbeitsklima könne heute wieder als gut bezeichnet werden. «Es ist seit rund zwei Jahren spürbar Ruhe eingekehrt.»
Wie steht es um die Kritik an der Berufungskammer? Ist eine Veränderung geplant?
Dass die 2019 geschaffene Berufungskammer am Bundesstrafgericht unter dem gleichen Dach und Vorsitz angesiedelt sei, stelle die Unabhängigkeit infrage, so die Kritik. Fabbri widerspricht: Die Unabhängigkeit sei gewährleistet. Wegen Platzmangels sei zudem eine räumliche Trennung geplant.
Die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments werfen dem Bundesstrafgericht ausserdem vor, aus politischem Kalkül bei den Fallzahlen, die an die Berufungskammer gelangen, tiefgestapelt zu haben, damit die Berufungskammer beim Bundesstrafgericht – und nicht beim Bundesgericht – angesiedelt wird. Die Konsequenz der tiefer angesetzten Zahlen: massiver Personalmangel nach der Schaffung der Kammer. Die Antwort aus dem Bundesstrafgericht: Es sei im Voraus schwer einzuschätzen, wie viele Fälle weitergezogen würden .