Die Krankenkassenprämien sind erneut deutlich gestiegen. Weshalb das so ist, und wie man diesen Anstieg sogar verringern könnte, weiss Tobias Müller, Professor für Gesundheitsökonomie an der Berner Fachhochschule.
SRF News: Die Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien steigen erneut, weshalb?
Tobias Müller: Das eine ist der medizinische Fortschritt. In der Schweiz haben alle Zugang zu Spitzenmedizin, unabhängig vom Einkommen – was eine grosse Errungenschaft ist. Problematisch finde ich die Kosten durch Überversorgung. Wir setzen auf Anreizsysteme, welche Ärzte und Spitäler finanziell belohnen, je mehr Behandlungen sie machen. Das führt zu unnötigen Behandlungen und Kosten, ohne medizinischen Mehrwert.
Die Kosten sind etwas weniger stark gestiegen als in den letzten zwei Jahren, haben die aktuellen Reformen gefruchtet?
Ich glaube, die angestossenen Reformen bringen relativ wenig. Bei Efas geht es nur darum, welchen Anteil der Kanton und die Krankenkasse an den Spitalbehandlungen tragen. Das ändert aber nichts am grundsätzlichen System, das die Mengenausweitung finanziell belohnt.
Welchen Anteil tragen die Patienten selbst am Kostenwachstum?
Ich halte diesen Anteil für überschätzt. Wir haben seit 30 Jahren steigende Prämien, natürlich will der Patient etwas für sein Geld. Ich finde es aber falsch, ihnen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Wenn ein Patient einmal im System ist, entscheidet der Arzt weitgehend, welche Behandlungen gemacht werden. Die Leistungserbringer tragen die Verantwortung und dort sollte man besser hinschauen. Auch die Überalterung ist überschätzt und nur für einen kleinen Teil des Kostenwachstums verantwortlich.
Hochwirksame Therapien sollte die Krankenkasse weiterhin bezahlen, aber die weniger wirksamen könnte man einschränken.
Unser Gesundheitssystem kostet 100 Milliarden im Jahr, wie viel davon sind unnötige Behandlungen?
Es gibt unterschiedliche Schätzungen. Eine grössere Untersuchung der OECD von 2017 kommt zum Schluss, dass bis zu 20 Prozent für unnötige Gesundheitsleistungen ausgegeben werden. In der Schweiz wären das aktuell rund 20 Milliarden. Es gibt zahlreiche Beispiele für die Überversorgung, von Laboruntersuchungen, bildgebenden Verfahren, chirurgischen Eingriffen bis hin zu teuren Krebsmedikamenten, welche die Lebenserwartung kaum verlängern, bei sehr schlechter Lebensqualität. Hier sehe ich die Leistungserbringer mehr in der Verantwortung. Auch den Leistungskatalog sollten wir ausmisten. Hochwirksame Therapien sollte die Krankenkasse weiterhin bezahlen, aber die weniger wirksamen könnte man einschränken.
Wenn sie eine Massnahme umsetzen könnten, welche wäre das?
Die Hälfte unserer Gesundheitskosten entsteht im stationären Bereich. Man müsste die Kantone zwingen, dass sie überregional zusammenarbeiten, etwa bei Spitälern. Und wir müssen weg von der mengenbasierten Vergütung. Wir haben ab nächstem Jahr zwar ein neues Tarifsystem, dieses ist aber wieder mengenbasiert. Doch die Forschung zeigt schon lange, dass solche Anreizsysteme suboptimal sind und häufig zu Überversorgung führen. Hier müssen wir radikal umdenken – etwa hin zu fixen Gehältern für Leistungserbringer, die unabhängig sind von der Menge an Behandlungen oder von Kopfpauschalen für Patienten. Unnötige Behandlungen dürfen sich für die Leistungserbringer nicht lohnen.
Und warum passiert das nicht?
Das Lobbying im Gesundheitswesen ist in der Schweiz sehr stark und die verschiedenen Player haben viel Macht. In diesem Leben werde ich es wohl nicht mehr erleben, dass diese grosse Zugeständnisse machen.
Das Gespräch führte Fabrizio Bonolini.