- Forscherinnen und Forscher – unter anderem der ETH Zürich – haben eine Schwachstelle des Coronavirus gefunden.
- Die Vermehrung des Erregers wird gehemmt, wenn man einen bestimmten Prozess stört.
- Aus dieser Erkenntnis lässt sich möglicherweise ein Medikament entwickeln, das alle Varianten des Coronavirus angreift.
Das Zauberwort heisst «Frameshifting»: Beim schrittweisen Ablesen des Bauplans des Virus aus Ribonukleinsäure (RNS) «verzählt» sich das Ribosom – die zelleigene Proteinfabrik – gelegentlich und lässt vereinzelt Elemente aus. Bei gesunden Zellen kommt das selten vor, denn aus einer falsch abgelesenen und kopierten Reihenfolge resultieren nichtfunktionale Proteine.
Ansatz für Medikamente
«Wir fanden heraus, dass das Coronavirus eine sehr einzigartige Charakteristik hat – was auch seine Schwachstelle ist. Anstatt die Virusinformation in Dreier-Buchstabengruppen zu lesen, verrutscht das Coronavirus-Genom an einem bestimmten Ort beim Lesen und es wird nur eine Zweier-Buchstabengruppe gelesen», erklärt Nenad Ban, Professor für Molekularbiologie an der ETH Zürich.
An diesem Punkt könne man ansetzen, etwa mit Medikamenten, die das «Verrutschen» beim Lesen verhindern und damit die Reproduktion des Virus stoppen. Weil dieses Verrutschen nur beim Coronavirus passiere, könnten Medikamente sehr zielgerichtet eingesetzt werden und auch gegen Virusmutationen wirksam sein. Denn man greift den Reproduktionsprozess des Virus im Kern an.
Reproduktion tausendfach verringert
Allerdings fehlten bislang genaue Informationen über die Wechselwirkung der RNS des Virus mit dem Ribosom der befallenen Wirtszelle. Den Forschenden an der ETH und den Universitäten Bern, Lausanne und Cork, Irland, ist es nun gelungen, diesen Vorgang zu beobachten. Dies beschreiben sie auch in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift «Science».
Fachartikel in «Science»
Mittels ausgeklügelter biochemischer Experimente konnten sie das Ribosom an der Stelle dieses «Frameshifting» der Coronavirus-RNS «einfrieren». Diesen Molekülkomplex konnten die Wissenschaftler dann mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie untersuchen.
Sie sind auch schon einen Schritt weitergegangen und haben versucht, den Vorgang mit chemischen Substanzen gezielt zu beeinflussen. Sie fanden zwei chemische Verbindungen, welche die virale Vervielfältigung um das tausend-bis zehntausendfache verringert – und das, ohne giftig zu sein für die damit behandelten Zellen.
Hilfreich bei Varianten und Mutanten
Da alle Coronaviren auf diesen «Frameshifting»-Mechanismus angewiesen sind, könnte ein auf diesen Vorgang eingreifende Medikament auch nützlich sein, um Infektionen durch andere, entfernter verwandte Coronaviren zu behandeln.
«Unsere zukünftige Arbeit wird sich darauf konzentrieren, die zellulären Abwehrmechanismen zu verstehen, die das virale «Frameshifting» unterdrücken, da dies für die Entwicklung von kleinen Wirkstoffen mit ähnlicher Aktivität nützlich sein könnte», erklärt Nenad Ban.
Doch von einem allfälligen Medikament ist man noch Jahre entfernt. «Ich denke, dieses medizinische Problem wird uns noch viele Jahre beschäftigen», erklärt Ban.