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Die Lebensqualität in einer autofreien Stadt wäre sehr viel höher
Aus SRF 4 News aktuell vom 01.10.2019.
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Diskussion um Energiewende «Indem wir nichts unternehmen, verzichten wir auf etwas Besseres»

Fast zwei Drittel der Energieversorgung in der Schweiz beruhen auf fossilen Energieträgern. Und auf diesen wiederum fusst der Fortschritt und Reichtumszuwachs der vergangenen Jahrzehnte. Um von der Öl-Sucht loszukommen, brauche es eine neue Denkweise, sagt der Sozialpsychologe Harald Welzer.

Harald Welzer

Harald Welzer

Soziologe und Sozialpsychologe

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Harald Welzer hat zahlreiche Bücher geschrieben, die sich mit den Veränderungen für eine bessere Zukunft befassen. Er lehrt an der Europa-Universität in Flensburg und an der Uni St. Gallen. Die Schwerpunkte seiner Forschung und Lehre sind Erinnerung, Gruppengewalt und kulturwissenschaftliche Klimafolgenforschung.

SRF News: Woher kommt die heute herrschende Abhängigkeit von fossilen Energieträgern?

Harald Welzer: Die fossile Kultur hat den Menschen im Vergleich zu vorher unfassbare Entfaltungsmöglichkeiten geboten. Die Lebenserwartung hat sich praktisch verdoppelt, Gesundheits-, Sozial- und Bildungssystem haben sich extrem verbessert, die extreme Armut, in der vor 200 Jahren 80 Prozent der Menschen in der Schweiz lebten, gibt es nicht mehr.

Es ist schwierig, von dieser Suchtstruktur wegzukommen.

All die Verbesserungen wären ohne die fossilen Energien wie Erdöl, Kohle und Erdgas nicht möglich gewesen. Diese Entwicklung hat aber auch eine Abhängigkeit erzeugt. Es ist eine Suchtstruktur entstanden, die auf all dem Positiven aufbaut. Das macht es so schwierig, davon wegzukommen.

Wie können wir von den so klimaschädlichen fossilen Energieträgern loskommen, ohne massive Komfortverluste hinnehmen zu müssen?

Vieles von dem, was unsere Gesellschaft prägt, ist Hyperkonsum: Es sind mittlerweile absurde Konsumformen, die nicht die Lebensqualität erhöhen, sondern reduzieren! Die Menschen kümmern sich pausenlos darum, welches Gerät besser ist, was der Nachbar hat, was ich auch noch haben muss, welche bekloppte Kreuzfahrt ich als Nächstes machen muss, weil das von mir erwartet wird.

Unsere absurden Konsumformen erhöhen die Lebensqualität nicht – sie reduzieren sie!

Wenn wir jedoch Zukunftsformen einer besseren Gesellschaft entwickeln, erscheinen Dinge, die wir heute für unverzichtbar erachten, plötzlich als Belastung. Ein Beispiel dafür ist die autofreie Stadt. Die Lebensqualität in einer solchen wäre erheblich grösser als in der Autostadt von heute. Man kann also konkrete Utopien entwickeln, gegenüber denen unser heutiger Zustand als schlechter erscheint. So wird klar: Indem wir nichts unternehmen, verzichten wir auf etwas Besseres. So haben wir auf einmal eine umgekehrte Diskussion.

Handelt es sich dabei nicht um eine Luxusdiskussion, die wir uns in den reichen Ländern leisten können, die in ärmeren Ländern aber viel schwieriger ist?

Klar, wir diskutieren auf allerhöchstem historischen Niveau. Aber die Schlussfolgerung kann auch anders aussehen: Nachhaltiges Verhalten ist nicht etwas, das man erfinden muss! Es ist in ärmeren Gesellschaften weitaus ausgeprägter und weiter verbreitet.

Viele tradierte Praktiken sind den unseren weit überlegen.

So war auch die Schweiz vor 40 Jahren viel nachhaltiger als heute – denken Sie an Reparaturen aller Art: Kleidung, Geräte oder den Umgang mit dem Essen. Insofern sind viele tradierte Praktiken – angewendet für das 21. Jahrhundert – unseren heutigen weit überlegen.

Was macht Sie so zuversichtlich, dass wir von dieser von den fossilen Energieträgern gestützten Sucht loskommen?

Wir haben neuerdings eine soziale Bewegung, mit der niemand gerechnet hat. Diese Jugendbewegung für das Klima wird eine unglaubliche Dynamik entfalten, es entsteht eine neue politische Generation. Daraus wird ein Modernisierungsprozess für die Gesellschaft entstehen.

Aus der Jugendbewegung für das Klima wird ein Modernisierungsprozess für die Gesellschaft entstehen.

Man kann jetzt nicht mehr mit der Fantasie weitermachen, ein paar kleine Dinge zu verändern und damit durchs 21. Jahrhundert zu kommen. Da fordern die 17-, 18-Jährigen etwas ganz anderes.

Das Gespräch führte Klaus Ammann.

Wie den Strukturwandel schaffen?

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Wenn man eine florierende kapitalistische Gesellschaft bleiben will, muss man sich rechtzeitig auf den Strukturwandel einstellen. Denn dieser beginnt nicht erst dann, wenn die ersten Arbeitsplätze verloren gehen – er ist schon viel früher sichtbar. So ist sicher, dass es in der Mobilität einen fundamentalen Strukturwandel geben wird – die heutige Autoindustrie ist eine wandelnde Leiche. Es ist es ein extremes Versäumnis, sich nicht schon seit 20 Jahren Gedanken zu machen, wie man den Strukturwandel in der Autoindustrie hinbekommt.

Strukturwandlungsprozesse sind ein grundsätzliches Merkmal der kapitalistischen Industriegesellschaft. Dabei ist es essenziell, aus der Geschichte zu lernen. Mancher Strukturwandlungsprozess ist gescheitert – man denke ans Ruhrgebiet oder gewisse Regionen in den USA oder Frankreich. Doch es gibt auch historische Beispiele, die gut herausgekommen sind. (Harald Welzer)

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