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Geldpolitik im Euroraum Chefökonom: «Eine Eurokrise ist leider nicht auszuschliessen»

Die Wirtschaftswelt blickt gespannt nach Frankfurt. Dort entscheidet die Europäische Zentralbank EZB, wie es im Euroraum geldpolitisch weitergeht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die EZB die Zinsen erhöht. Die Frage ist: wie stark? Höhere Zinsen sind ein Mittel, um die hohe Teuerung zu bremsen. Für stark verschuldete Länder wie Italien aber sind höhere Zinsen ein Problem. Über dieses Dilemma spricht Rudolf Minsch. Er ist Chefökonom des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse.

Rudolf Minsch

Chefökonom Economiesuisse

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Der promovierte Volkswirt und Gastprofessor an der FHGR in Chur ist seit 2007 Chefökonom des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse.

SRF News: Was muss die Europäische Zentralbank EZB heute tun?

Rudolf Minsch: Sie muss die Zinsen erhöhen. Es ist der absolut späteste Zeitpunkt, um überhaupt noch die Inflation in Europa unter Kontrolle zu bringen. Eigentlich ist der Zug schon sehr weit angefahren. Nicht nur kurz angefahren, sondern er ist schon in voller Fahrt. Entsprechend muss die EZB die Zinsen anpassen, die Geldpolitik straffen, um zu verhindern, dass die Preise noch weiter explodieren.

Es ist der absolut späteste Zeitpunkt, um überhaupt noch die Inflation in Europa unter Kontrolle zu bringen.
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Das ist aber schwierig, weil die Finanzierung für Länder wie Italien dann komplizierter wird. Die Zinsen steigen bereits in Italien. Droht da die nächste Eurokrise?

Eine Eurokrise ist leider nicht auszuschliessen. Aber die Situation ist schon eine andere als noch 2011. Italien hat mittlerweile viele Schuldenberge langfristig gebunden. Das heisst, die Probleme der höheren Zinsen kommen nicht unmittelbar auf Italien zu, sondern erst schrittweise. Es ist nicht mit einer schockartigen Entwicklung zu rechnen. Aber wir beobachten die hohen Schuldenstände innerhalb der Eurozone mit Sorge.

Eine weitere Eurokrise schliessen sie also nicht aus?

Das kann leider nicht ausgeschlossen werden. Denn die Schuldenstände haben nach Corona noch mal deutlich zugelegt. Sie waren vorher schon hoch. Italien oder Griechenland beispielsweise haben Schwierigkeiten, wirtschaftlich Tritt zu finden. Sie haben politische Instabilitäten. Es ist eine Giftmischung, die nicht unbedingt sehr positiv ist. Obwohl die EZB bisher alle Sachen unter Kontrolle gebracht hat, ist nicht ganz sicher, ob sie das in Zukunft auch tun kann.

Obwohl die EZB bisher alle Sachen unter Kontrolle gebracht hat, ist nicht ganz sicher, ob sie das in Zukunft auch tun kann.
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Muss die Schweiz auch zittern?

Die Schweiz ist natürlich immer wieder im Fokus, wenn es zu einer Frankenaufwertung kommt. Immer dann, wenn in Europa eine Krise ausbricht, reagieren die Anleger. Sie sind nervös und investieren dann in den Schweizer Franken. Von dem her ist auch temporär mit einer weiteren Aufwertung des Frankens zu rechnen oder es ist zumindest im Bereich des Möglichen.

Umso wichtiger wäre eine Zinserhöhung im Euroraum aus Schweizer Sicht, weil das den Euro attraktiver machen würde für Investoren?

Genau. Und wenn die Zinsdifferenz wieder positiv wäre, würde das den Euro auch etwas gegenüber dem Dollar wieder aufwerten. Und damit hätte auch die Schweiz Spielraum, endlich die Zinsen dorthin anzupassen, wo sie hingehören. Nämlich klar in den positiven Bereich.

Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.

SRF 4 News, 21.07.2022, 06:41 Uhr ; 

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