Zum Inhalt springen

Krieg in der Ukraine So steht es um die Schweizer Gasversorgung

Europa ist abhängig von russischem Gas. Auch die Schweiz rüstet sich für die nächsten Winter – und sucht Alternativen.

Vier unscheinbare, einstöckige Gebäude stehen in Oberbuchsiten im Kanton Solothurn neben der Autobahn A1, umgeben von einem hohen Metallzaun. Dicke Rohre ragen aus dem Boden, und in einem dieser Pavillons – mitten in einem Gewirr farbiger Leitungen – steht Rolf Samer und erklärt: «Wir sind hier in einer druckreduzierenden Messstation. Hier kommt das Gas mit einem Druck von 55 Bar, wie wir es von der Transitleitung übernehmen.» Von dort wird das Gas auf weitere Stationen und die lokalen Verteiler übergeben, mit nur noch 5 Bar.

Gaszähler
Legende: Der Ukrainekrieg hat die Preise für Erdgas weltweit in die Höhe getrieben, weil Russland einer der wichtigsten Anbieter von Erdgas ist. Keystone

Samer ist der Chef der Gasverbunds Mittelland, einem der grössten Gasimporteure der Schweiz. Er beschafft Gas unter anderem für die Stadtwerke von Basel, Bern, Olten oder Neuenburg. Insgesamt rund einen Drittel des Gases, das in der Schweiz verheizt wird. Gas macht rund 15 Prozent des gesamten Energieverbrauchs der Schweiz aus.

Woher genau das Gas kommt, das gerade aus dieser Station zum Beispiel Richtung Olten fliesst, weiss Samer nicht. Sicher ist: Der Grossteil stammt aus Russland.

Keine direkten Verträge mit Russland

Samer beziffert den Anteil des russischen Gases auf 40 bis 50 Prozent. Der Rest stamme aus eigener europäischer Produktion wie etwa aus Holland oder Norwegen. «Und einiges kommt natürlich jetzt auch über LNG-Schiffe nach Europa.» LNG ist Gas, das so stark gekühlt wird, dass es flüssig ist. Direkte Verträge mit Russland habe der Gasverbund keine.

Einen Abnahmevertrag gebe es mit Holland. Den Restbedarf deckt der Importeur über Gasbörsen ab. «Eigentlich ist es Hans was Heiri an den Börsen. Es gibt keine Nachweise, woher das Gas kommt», sagt Samer.

Grundsätzlich gilt: Die Preise sind stark gestiegen. Samers Händlerinnen und Händler kaufen einerseits kurzfristig Gas, um den Bedarf zu decken, sichern sich aber gleichzeitig Gaslieferungen für die nächsten paar Jahre: «Ich kann ein sogenanntes Jahresband für 2023/24 kaufen und mir die Menge zum heutigen Preis absichern. Natürlich sind auch die Zukunftspreise in die Höhe gegangen.»

Wenn es Engpässe in Europa geben sollte, wird es für alle schwierig.
Autor: Rolf Samer Chef der Gasverbunds Mittelland

Die Schweiz habe genug Gas, versichert Samer. Auch wenn Russland die Gaslieferungen einstellen sollte. Im Frühling und Sommer sinkt auch der Verbrauch, und dieser könne durch Gas aus Speichern und Flüssiggas gedeckt werden. Im nächsten Winter dürfte sich die Situation wieder zuspitzen. Dann könnte Gas – trotz Lieferverträgen – auch bei den Handelspartnern in Europa knapp werden. «Wenn es Engpässe in Europa geben sollte, wird es für alle schwierig.»

Und die Schweiz als Insel in Europa ist auf die Unterstützung der europäischen Partner angewiesen. Denn erneuerbare Energien aus dem Inland, zum Beispiel Biogas, sind nur in kleinsten Mengen verfügbar. Das heisst: Gas als Energieträger dürfte teuer bleiben. Und Szenarien, bei denen die Wohnungen weniger stark geheizt und Fabriken reduziert in Betrieb sind, um Energie zu sparen, dürften dann auch in der Schweiz realer werden.

Wie lässt sich das Gasproblem langfristig lösen?

Box aufklappen Box zuklappen

SRF-Wirtschaftsredaktor Dario Pelosi: «Der Bundesrat hat unlängst die Schweizer Gasbranche aufgefordert, Lösungen für eine gesicherte Gasversorgung zu suchen. Nun hat die Schweizer Gasbranche eine Taskforce einberufen. Diese hat der Bundesrat auch ausdrücklich erlaubt. Denn der Schweizer Gasmarkt besteht eigentlich aus vielen Stadt- und Gemeindewerken, um zu verhindern, dass sich die Branche zu stark bei den Preisen abspricht. In der aktuellen Situation hat der Bundesrat aber genau diese Kartellbeschränkungen aufgehoben.

Nun geht es darum, verschiedene neue Quellen zu finden. LNG, also flüssiges Gas, könnte per Schiff aus Katar, den USA oder gar Australien kommen und dann ins Pipeline-Netz eingespeist werden. Auch erneuerbares Gas, umgewandelt zum Beispiel aus Solarstrom, könnte so transportiert werden. Die Schweizer Gasbranche könnte sich überlegen, in Produktionsanlagen, Transportschiffe und LNG-Terminals zu investieren, um sich das Gas zu sichern. Das ist auch wichtig, weil die Kundschaft künftig allenfalls auch genauer wissen will, wie ökologisch und politisch korrekt ihr Gas ist.

Zusätzlich müsste man das Gas in der Schweiz speichern können. Die Gasbranche ist zwar an einem Gas-Speicher beteiligt, aber der befindet sich im Ausland. Pläne für einen eigenen Gas-Speicher sind bisher in den Schubladen geblieben, weil es sich nicht gelohnt hat. Pipeline-Gas aus Russland floss zuverlässig und ist sehr günstig.

Nun muss die Branche anders rechnen. Und sie schielt auch zum Bund. Wenn der Bundesrat Versorgungssicherheit will, dann hofft die Branche, dass sich der Bund auch an den hohen Infrastrukturkosten für solche Produktions- und Speicheranlagen beteiligt. Bis Ende April sollen erste Ergebnisse der Taskforce vorliegen.»

Rendez-vous, 21.03.2022, 12:30 Uhr

Meistgelesene Artikel