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Russland-Sanktionen: Yale-Professor wirft Uni-St.Gallen-Professor akademischen Betrug vor
Aus Echo der Zeit vom 01.02.2023. Bild: Keystone
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Studie zu Boykott Russlands Zoff um die Anzahl Firmen, die nicht mehr in Russland geschäften

Zwischen einem Institut der Uni St. Gallen und einem Institut der US-Uni Yale ist ein heftiger Streit ausgebrochen.

Minutiös haben Forscherinnen der renommierten Universität Yale vom ersten Tag an des Angriffs Russlands auf die Ukraine Firmen aufgespürt, die sich teilweise oder ganz aus Russland zurückgezogen, ihre Fabriken verkauft oder verschenkt oder ihre Aktivitäten eingestellt haben. Über 1300 bekannte Firmen aus aller Welt befinden sich aktuell in der Yale-Datenbank. 840 davon haben entweder alles verkauft oder jede wirtschaftliche Aktivität suspendiert.

Scharfe Kritik aus Yale

Die Datenbank aus Yale war bis jetzt unumstritten – bis letzte Woche. Da publizierten Forschende der Universität St. Gallen HSG und der Lausanner Wirtschaftshochschule IMD eine Studie, der zufolge nur gerade 8.5 Prozent der Firmen aus der EU, Grossbritannien, Japan, Kanada und den USA Russland ganz verlassen hätten. In absoluten Zahlen sind das bloss deren 120.

Die Wissenschaftler aus Yale reagieren empört und sparen nicht mit Kritik: Die Daten der Schweizer Studie hielten einer Überprüfung nicht stand, sagt Yale-Wirtschaftsprofessor Jeffrey Sonnenfeld. Jeder, der lesen könne, sehe, dass es im Schweizer Datensatz Hunderte von russischen Individuen, Oligarchen und Firmen habe.

Präzisierung

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Dieser Artikel ist gegenüber der Erstpublikation dahingehend präzisiert worden, dass es sich um einen Streit unter Forschenden handelt und nicht um einen Streit der Institutionen, bei denen die Forschenden arbeiten. Damit haben wir eine journalistische Verkürzung präzisiert. Zudem haben wir Yale-Professor Jeffrey Sonnenfeld in einer ursprünglichen Version dieses Beitrags mit einer Charakterisierung der von ihm kritisierten Studie zitiert. Diese Charakterisierung haben wir gestrichen.

Russische Firmen mitzählen – oder nicht?

«Diese Daten zeigen, dass russische Firmen Russland nicht verlassen haben. Aber daraus zu folgern, dass sich 8.5 Prozent der westlichen Firmen aus Russland verabschiedet hätten, ist irreführend», so Sonnenfeld weiter.

Zudem fehlten in den HSG-Daten die bekanntesten Firmen, die Russland den Rücken gekehrt hätten – wie Amazon, American Airlines, American Express, BP, Boston Consulting Group, Goldman Sachs, Citigroup, Chevron, Exxon, Marriott und viele andere mehr. Auch Schweizer Firmen sind nicht erfasst.

Einige der Oligarchen auf der HSG-Liste

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Olex Kharuk
Petr Fedorov
Sergey Kukara
Vsevolod Arkhipov
Yakov Goldovsky
Alexey Gubarev
Anatoliy Paliy
Andrey Osipov
Igor Lepetukhin
Igor Yushkevich

Sonnenfeld sagt, er habe im Oktober, angesichts einer ersten Fassung der Studie HSG und IMD auf die irreführende Datenbasis aufmerksam gemacht. Geschehen sei nichts. Man wolle keinen Streit mit der HSG, betont der Yale-Professor. Doch: «Es sind irreführende Daten, eine akademische Lüge!»

Kritik auch aus Kiew

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Legende: Ein Beispiel: Der schwedische Kleiderkonzern H&M hat sich vollständig aus Russland zurückgezogen. Keystone

Support erhält Yale von Nataliia Shavpoval, Direktorin der Kiewer School of Economics. Sie sagt, Moskau mache es mit vielen Dekreten mittlerweile fast unmöglich, Anlagen, Fabriken oder Niederlassungen überhaupt zu verkaufen.

Auch die Forscherin aus Kiew hält die Schweizer Daten für irreführend und manipulativ. Sie hinterliessen den Eindruck, nur wenige westliche Firmen wollten Russland verlassen. Auch die Methodologie sei nicht kohärent, kritisiert Shavpoval.

Ihre School of Economics verfolgt ebenfalls genau, was westliche Firmen in Russland machen. Aktuell haben sich nach den Kiewer Daten knapp zwei Drittel aller westlichen Firmen verabschiedet, sind daran oder haben die Aktivitäten runtergefahren. Ein gutes Drittel dagegen macht business as usual und will ausharren, bis die Zeiten wieder besser werden.

Die Forschenden von HSG und IMD verteidigen sich damit, dass sie Firmen, die Russland verlassen, von Russland aus gesucht hätten. Sie hätten Daten von in Russland tätigen Unternehmen oder Personen genommen, die mindestens einen Sitz in einem westlichen Land hätten. Zum Beispiel Yandex: Yandex ist das russische Pendant zu Google – und hat einen Sitz in den Niederlanden.

Unterschiedliche Kriterien

Deshalb lande der russische Konzern Yandex im HSG-Datensatz, bestätigt der St. Galler Professor Simon Evenett. Andere Beispiele sind X5, Rusal, Uralchem oder Severstal.

Einige der wichtigsten russischen Firmen:

Firmenname Tätigkeitsbereich
Yandex Russlands Pendent zu Google
X5 Russische Version von Walmart
LSS Varshavskaya St. Petersburger Immobilienentwickler
Uralchem Einer der grössten Petrochemiekonzerne Russlands
Rusal Aluminiumimperium von Oleg Deripaska
Evraz Bergbaukonzern von Abramovich/Abramov.
Severstal Stahlkonzern von Alexey Mordashov
Ozon Holdings Russlands E-Commerce Gigant
Ros Agro Einer der grössten Rohstoffkonzerne Russlands

Im Institut von Professor Sonnenfeld aber regt man sich darüber auf, weil sich russische Grosskonzerne und Oligarchen ja kaum aus Russland zurückziehen können. Als Rückzug aus Russland gilt in der HSG-Studie zudem nur, wenn eine Niederlassung in Russland effektiv verkauft worden ist.

Während Professor Sonnenfeld oder die School of Economics in Kiew auch in anderen Fällen von Rückzug spricht: etwa, wenn eine Firma ihre Aktivität einstellt – weil es wirtschaftlich einem Exit gleichkomme, wenn man alles runterfahre, Angestellte entlasse, keine Produkte mehr herstelle und verkaufe – aber die Anlagen behalte, weil man eine Rückkehr in Zukunft nicht ausschliessen wolle, so die Yale-Forscher.

Echo der Zeit, 1.2.2023, 18:00 Uhr

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