Sonntagabend, eine Waldlichtung. Hinter dem Tannenwald geht die Sonne unter und taucht den Himmel in ein warmes Hellblau. Links leuchtet silbern der junge Vollmond. Susanne Wampfler macht ein Foto mit ihrem Handy – begeistert, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
«Schon als Kind haben mich die Lichter am Himmel fasziniert.» Heute ist die 44-Jährige Assistenzprofessorin für Astrochemie an der Uni Bern. Anders als damals macht sie sich nun aber Sorgen um die Zukunft des Sternenhimmels.
Auf der Lichtung im Eschenbergwald bei Winterthur steht eine kleine, private Sternwarte. Susanne Wampfler hält vor dem angrenzenden Zaun und wird von Daniel Luongo begrüsst. Auch er, Amateur-Forscher im Sternwarten-Verein, hat mit einer neuen Art von Lichtverschmutzung zu kämpfen. Die Aufnahmen von Kleinplaneten, die er im Auftrag von internationalen Forschungsinstituten macht, sind wegen des Satellitenlichts immer häufiger unbrauchbar.
Der Abendhimmel leuchtet noch lila. Ein Gestirn im Südwesten leuchtet schon deutlich. «Das ist Jupiter», sagt Susanne Wampfler, und Daniel Luongo hat das Teleskop bereits nach dem Planeten ausgerichtet.
Der Blick durchs Teleskop lässt einen ehrfürchtig erschaudern: Ein rundes, grosses Licht in der Mitte der Linse. Vier kleine, zarte Lichter schwebend darum herum. Susanne Wampfler nennt sie bei ihrem Namen: «Das sind Io, Europa, Callisto und Ganymed. Die Jupitermonde, die Galileo Galilei zur Erkenntnis geführt haben, dass sich nicht alles im All um die Erde dreht.»
Und dieser Blick ins unendliche All soll endlich sein?
Satelliten – so schnell wie Sternschnuppen
Es dunkelt ein. Die Vögel verstummen. Susanne Wampfler sitzt unterdessen auf einer Picknickdecke, mit Blick zum Sternenhimmel: «Der Polarstern zeigt uns Norden an. Da ist der Wagen, noch ohne die Füsse des Bären. Da die Zwillinge...»
Und dann: Zwei helle, konstant leuchtende Lichter jagen über den Nachthimmel. Es sind die ersten Satelliten, die sie heute Abend sieht. Gefolgt von einem weiteren, noch helleren Licht, der Internationalen Forschungsstation ISS.
Susanne Wampfler, die Assistenzprofessorin für Astrochemie auf der Picknickdecke, gesteht lachend: «Unglaublich gerne würde ich die Erde einmal von oben sehen. Aber ich leide unter so starker Reiseübelkeit, dass ich im Zug rückwärts fahrend nur knapp von Olten nach Bern komme.» Der Forscherin bleibt wie dem Grossteil ihrer Kollegen also nur der Blick von hier unten hoch zur Internationalen Forschungsstation im All.
Die kosmischen Strahlungen, die wir untersuchen, sind extrem schwach. Sie sind vergleichbar mit einem Flüstern im Hintergrund. Die Signale von Satelliten dröhnen hingegen wie laute Musik aus Lautsprechern.
Die Zusammensetzung der aktuellen ISS-Mission: drei russische Kosmonauten, drei US-amerikanische Astronautinnen und ein japanischer Astronaut. Kein Mensch befindet sich aktuell weiter weg vom irdischen Boden, als die sieben schwebenden Crew-Mitglieder in dieser Raumstation.
«Um die Zeit leuchtet die ISS etwa so hell wie die Venus.» Heller scheinen am irdischen Nachthimmel nur der Mond und die Sonne. Dabei leuchten Satelliten an sich eigentlich gar nicht. «Gewisse Bauteile wie die Solarmodule reflektieren Sonnenlicht. Deshalb scheinen sie abends und im Morgengrauen am hellsten.»
Ein kosmisches Flüstern
Besonders für Susanne Wampflers Fachgebiet, die Radio-Astronomie, ist die Zunahme von Satelliten am Nachthimmel ein gravierendes Problem. «Wir untersuchen Sternentstehungsgebiete auf ihre chemische Zusammensetzung hin – auf molekularer Ebene. Auf diese Weise haben wir in weit entfernten Gegenden des Universums bereits Bausteine des Lebens entdeckt: Proteinbausteine, oder Zucker. Das ist hochfaszinierend.»
Geleitet werden Susanne Wampfler und ihre Kolleginnen von der grossen Frage: Wo im All ist, ausser auf der Erde, Leben möglich?
Die neue Herausforderung in ihrer tagtäglichen Arbeit: «Die kosmischen Strahlungen, die wir untersuchen, sind extrem schwach. Sie sind vergleichbar mit einem Flüstern im Hintergrund. Die Signale von Satelliten dröhnen hingegen wie laute Musik aus Lautsprechern.» Immer wieder komme es nun vor, dass sie Datensätze nicht verwenden könne.
Was geht uns das Weltall an?
Susanne Wampfler betont an diesem Sonntagabend immer wieder: Die Vorteile der Entwicklung in der Raumfahrt seien für uns Menschen auf der Erde nicht von der Hand zu weisen. «Navigationssysteme, die Wettervorhersage, Internet an abgelegenen Orten der Welt – der technologische Fortschritt ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken.» Sie wünscht sich aber einen gesellschaftlichen Diskurs über die Frage, inwieweit wir den Erdorbit nutzen wollen – und zu welchem Preis.
Ein Gedankenexperiment: Die ISS, die soeben über Susanne Wampflers Kopf hinwegflog, befindet sich auf einer Flugbahn von 450 Kilometern Höhe. «Das ist sehr hoch. Flugzeuge fliegen auf zehn bis elf Kilometern Höhe.» Allerdings rückt ein Vergleich diese Distanz in ein anderes Licht: Die Flugbahn der ISS ist gleich weit von Winterthur entfernt wie die Stadt Köln. Wien oder Rom befinden sich schon weiter weg. «Was dort oben passiert, geht uns alle etwas an.»
Satellitenwerbung am Nachthimmel
Seit dem Aufkommen der privaten Raumfahrt entwickelt sich die Branche in atemberaubender Geschwindigkeit. Ideen, die anmuten, als stammten sie aus einem Science-Fiction-Roman, werden aktuell in Fachkreisen ernsthaft verhandelt. So zum Beispiel Satellitenwerbung am Nachthimmel.
Von zwei russischen Start-ups ist bekannt, dass sie an der Entwicklung von «Orbital Advertisement» arbeiten. «Werbeflächen im All könnten in fünf bis zehn Jahren Realität werden», schätzt Miles Timpe.
Der Astrobiologe forscht aktuell an der Universität Zürich zur Lichtverschmutzung von oben. «Sehr viele Lebewesen auf der Erde orientieren sich am Wechsel von Dunkelheit und Licht. Der Dungkäfer in der Savanne findet sich beispielsweise nur mithilfe der Milchstrasse zurecht. Ganze Ökosysteme im Meer hängen von Tieren ab, die sich entsprechend der Mondphasen paaren.»
Künstliches Licht am Nachthimmel, das zu Werbezwecken morgens und abends leuchtet, könnte einen grossen Einfluss auf ganze Ökosysteme haben. In keinem Land der Welt wird Weltraumwerbung explizit reguliert – ausser in den USA: Ein Bundesgesetz, welches «aufdringliche Weltraumwerbung» verbietet, ist seit dem Jahr 2000 in Kraft.
Die technologische Entwicklung in der Raumfahrt galoppiert den meisten geltenden Gesetzen weltweit davon. «Weltraumwerbung verspricht natürlich Aufmerksamkeit.» Susanne Wampfler wiederholt mit Nachdruck: «Deshalb müssen wir breit diskutieren, was wir im All wollen und was nicht.»
Der Wert eines dunklen Nachthimmels
Zurück in der kleinen, privaten Sternwarte Eschenberg. «Schon von Auge sieht man gut, dass der Mars rot ist.» Forschungsleiter Daniel Luongo hat das Teleskop neu ausgerichtet. «Das lasse ich mir nicht entgehen», meint Susanne Wampfler. «Je mehr man über das Weltall weiss, desto faszinierender wird es.» Und schon sitzt die Assistenzprofessorin für Astrochemie wieder am Teleskop und linst zum roten Nachbarplaneten hinüber, der 225 Millionen Kilometer von der Erde weg seine Bahnen um die Sonne zieht.
Was halten denn nun die Wächter des dunklen Nachthimmels den Versprechen des rasanten technologischen Fortschritts entgegen? «Das ist aktuell die grosse Herausforderung», sagt Astrobiologe Miles Timpe. «Subjektiv würden die meisten Menschen sagen, dass der Blick in einen dunklen, klaren Sternenhimmel nicht nur schön, sondern auch wichtig ist. Wir sind mit unserer Forschung nun auf der Suche nach objektiven Argumenten dafür.»
Die Astrochemikerin Susanne Wampfler, die Zuckerbausteine in weit entfernten Sternentstehungsgebieten entdeckt hat, sagt: «Wir leben auf einem aussergewöhnlichen Planeten. Bis jetzt haben wir keinen vergleichbaren entdeckt. Der Blick in die Sterne erinnert uns daran, dass wir ihm Sorge tragen sollten – bei allen Versprechen und Chancen, die der technologische Wandel bereithält.»