Am 4. August 2020 um 18 Uhr geschah in Beirut das Unfassbare. Eine
gewaltige Explosion
zerstörte weite Teile der Stadt, tötete 190 Menschen und verletzte 6'500 – darunter Ibrahim Nehme, Kurator und Publizist. Ihn überraschte die Explosion zu Hause.
Ich fühle eine elektromagnetische Welle durch mich hindurch dringen. Ich sehe Glas vor mir zerbrechen. Ich höre Schreie von der Strasse unten. Und dann schaue ich auf den Boden und stelle fest, dass ich einen Krater in meinem linken Fuss habe und überall Blut ist. Der Rest der Geschichte ist eine Erzählung darüber, wie ich es ins Krankenhaus schaffte.
Düstere Bilder, poetische Botschaft
Das ist ein Ausschnitt aus dem Text, den Ibrahim Nehme für den Filmessay «Nouvelle Nahda» schrieb. Zu hören ist Nehmes Stimme - zu sehen sind assoziative, düstere Bilder.
Keine leichte Kost, dieser Film. Doch wenn man sich darauf einlässt, belohnt er einen mit einer poetischen und berührenden Botschaft.
Dabei ist «Nouvelle Nahda» eher ein Zufallsprodukt. Weil das ursprünglich geplante Theaterprojekt zwischen dem Zürcher Theater Neumarkt und libanesischen Kulturschaffenden wegen Corona nicht stattfinden konnte, entstand im Januar 2021 die Idee, einen Film zu machen.
Schlüsselwort Wiedergeburt
«Nahda», arabisch für Wiedergeburt, ist ein Schlüsselwort des Films. Hoffnung entsteht aus Verzweiflung – oder in den Worten von Ibrahim Nehme: «Schmerz bringt manchmal das Beste in uns zum Vorschein.»
Im Film erzählen Theaterschaffende aus Beirut und Zürich persönliche Geschichten, die zwar spezifische Situationen beschreiben, aber darüber hinaus eine allgemein gültige Botschaft haben.
Nie aufgeben
Ibrahim Nehme etwa schildert, wie er seine schwere Verletzung bei seinen Eltern, die Olivenbauern sind, auf dem Land auskuriert. Nach sieben Dürrejahren gibt es hier endlich wieder eine Ernte.
«In den letzten sieben Jahren habe ich immer über meinen Vater gestaunt, der nie die Hoffnung verlor», sagt er. «Er glaubte immer daran, dass das Leben irgendwie zurückkommt.»
Nehme erlebt selber einen Wendepunkt: «Ich finde es paradox, dass eine Explosion, die mir den Boden unter den Füssen wegzog, mich dazu brachte, zu verstehen, wie verbunden ich mit meinem Land bin.»
Der Hibiskus als Hoffnungsträger
Auch die Schweizer Regisseurin und Perfomerin Antje Schupp erlebt, wie nahe Schmerz und Heilung beieinander liegen:
Als meine Mutter starb, habe ich mir kurz darauf ein Tattoo stechen lassen, das ein Blatt darstellt. Genauer gesagt das Blatt von ihrem Hibiskus, den ich zur Pflege nahm als sie ins Krankenhaus musste. Meine Tante schnitt damals den Hibiskus noch kräftig um die Hälfte zurück, ich erinnere mich, wie kläglich er aussah. Dann starb meine Mutter. Und was tat der Hibiskus? Er trieb wenige Tage später neu aus.
Beirut ist überall
«Es geht um Themen, die jeder Mensch erfahren kann», sagt Hayat Erdoğan, Co-Intendantin des Theater Neumarkt. «Es geht um innere und äussere Verletzungen, um Verlust und den Versuch, mit Trauer umzugehen.»
Ob wir nun in Beirut leben oder anderswo, sei dabei nicht wesentlich. «Wir laden die Zuschauenden ein, auf eine innere Reise zu gehen. Wenn der Film dabei etwas auslöst und Mut macht, dann haben wir schon viel gewonnen.
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