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Asylpolitik in Coronazeiten Zu wenig Quarantäneplätze für Flüchtlinge in Italien

Wegen der Coronakrise müssen Flüchtlinge in Italien zuerst zwei Wochen in Quarantäne. Doch daran halten sich nicht alle.

Was ist passiert? Am Montag sind dutzende Flüchtlinge aus einem Quarantäne-Zentrum in Sizilien ausgebrochen. Schon am Wochenende waren rund 200 Flüchtlinge aus einer anderen Quarantäne-Station in Italien geflohen. Die meisten konnten gefasst werden.

Was sind die Gründe für die Flucht? «Das hat mit der starken Überbelegung dieser Zentren zu tun», sagt Dominik Straub. Er ist freier Journalist in Rom. Dazu komme, dass viele der Flüchtlinge eigentlich nicht nach Italien wollen, sondern schnell weiter in andere Länder. «Das ist ein Phänomen, das man auch schon im Arabischen Frühling erlebt hat, als zehntausende Tunesier nach Italien gekommen sind, die alle nach Frankreich weiter wollten.»

Wie sind die Zustände in den Zentren? Beim Zentrum in Sizilien handelte es sich laut Straub um ein Zelt, konzipiert für 100 Personen. Es befanden sich zum Zeitpunkt der Flucht 500 Personen darin. «Da braucht es nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, was für Zustände dort herrschen.» Selbst die Bürgermeisterin des Ortes bezeichnete die Zustände als menschenunwürdig und forderte die Regierung zum Handeln auf. Die ganze Situation werde auch noch dadurch erschwert, dass in den Zentren Coronafälle aufgetreten sind.

«Zweifellos haben auch die Flüchtlinge Angst, angesteckt zu werden.

Was nicht verwunderlich ist bei solchen Menschenansammlungen», so Straub. Bisher wurden zum Glück erst wenige Fälle von infizierten Migranten gemeldet. Anfang Juli gab es auf zwei privaten Rettungsschiffen allerdings einige Infizierte. Und diese Woche sind 65 aus Seenot gerettete Migranten im Nachbarland Malta positiv auf das Coronavirus getestet worden.

Wie reagiert die Politik darauf? Am Montag wurden 300 Soldaten nach Sizilien geschickt, um die Flüchtlingslager zu bewachen und Fluchtversuche zu unterbinden. «Daneben sucht die Regierung verzweifelt nach einem Schiff – einer Fähre oder einem Kreuzfahrtschiff – das in eine Quarantäne-Station mit 800 bis 1000 Plätzen umfunktioniert werden kann», erklärt der Journalist.

Die 12'000 Flüchtlinge bedeuten eine Vervierfachung gegenüber dem Vorjahr. Aber das liegt noch weit unter den Jahren 2015-2018.
Autor: Dominik Straub freier Journalist

Wie kommen die Flüchtlinge nach Italien? Die Flüchtlinge kommen, da die Regierung viele private Rettungsschiffe beschlagnahmt und die Häfen geschlossen hat, autonom. Das heisst, sie kommen direkt nach Italien, ohne dass sie aus Seenot gerettet werden mussten. Sie kommen an unbewohnten Küsten an, was zur Folge hat, dass sie nicht registriert werden und auch nicht in Quarantäne kommen. «Das ist ein ganz grosses Problem», sagt Straub.

Woher stammen sie mehrheitlich? Laut der italienischen Regierung aus Tunesien. Zum einen liegt Tunesien sehr nahe an Italien, vor allem an Lampedusa. Die Insel ist nicht viel mehr als 100 Seemeilen (rund 185 Kilometer) von Tunesien entfernt. Aber in Tunesien ist zur bereits bestehenden politischen Instabilität auch eine schwere Wirtschaftskrise gekommen. Die Tourismusbranche liegt am Boden. Die ausländischen Gäste sind weg.

Wie entwickeln sich die Flüchtlingszahlen? Laut Italiens Geheimdiensten warten allein in Libyen mindestens 10'000 Personen darauf, nach Italien losfahren zu können. Es gebe wenig Grund anzunehmen, dass die Flüchtlingsströme «von Zauberhand» verschwinden werden, glaubt Straub. Wobei: «Die 12'000 Flüchtlinge, die bisher dieses Jahr angekommen sind, bedeuten eine Vervierfachung gegenüber dem Vorjahr. Aber das liegt noch weit unter den Jahren 2015-2018, als jeweils 100'000 und mehr ankamen.»

SRF 4 News, 29.07.2020, 06:15 Uhr ; 

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