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EU-Sanktionen gegen Belarus «Für Lukaschenko ist das bloss ein Kollateralschaden»

Flugzeuge aus Belarus dürfen nicht mehr in die EU fliegen. Zudem wurde die Liste von belarussischen Personen und Unternehmen erweitert, für die Vermögenssperren in der und Einreiseverbote in die EU gelten. SRF-Korrespondent David Nauer in Moskau glaubt nicht, dass das den belarussischen Machthaber in die Knie zwingen wird.

SRF News: Lässt sich Belarus von den EU-Sanktionen beeindrucken?

David Nauer: Machthaber Alexander Lukaschenko hat sich bisher noch nicht dazu geäussert. Doch die Sanktionen dürften ihn kaum gross kümmern. Lukaschenko ist eine Art Politiker im Ausnahmezustand. Er weiss, dass eine Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen seines Landes ihn nicht mehr unterstützt. Auch wird er vom Westen nicht mehr anerkannt.

Wenn Lukaschenko die Macht verliert, droht ihm Schlimmes.

Lukaschenko geht es nur noch darum, an der Macht zu bleiben. Denn wenn er die Macht verliert, könnte ihm Schlimmes drohen – auch der Tod. Deswegen holt er auch einen Passagierflieger vom Himmel, um an der Macht zu bleiben. Sanktionen der EU sind für jemanden, der in einem solchen Modus politisiert, nur noch ein Kollateralschaden.

Die EU möchte mit den Sanktionen vor allem Lukaschenkos Regime treffen. Gelingt ihr das?

Kaum. Bisher hat die EU vor allem Vertreter des belarussischen Regimes mit Sanktionen belegt, da war die Bevölkerung nicht betroffen. Jetzt trifft es vor allem die Staatsairline Belavia. Die darf neu nicht mehr in die EU fliegen. Das trifft neben dem Regime auch viele Belarussinnen und Belarussen, die nun nicht mehr so leicht aus dem Land ausreisen können. Denn auch die Landesgrenzen, ausser jener nach Russland, sind geschlossen.

Lukaschenko geniesst Russlands Rückhalt. Welche Rolle spielt Moskau in der ganzen Geschichte?

In Moskau scheinen nicht viele Menschen von der grobschlächtigen belarussischen Aktion mit der Ryanair-Maschine begeistert zu sein. Aber die Russen denken geopolitisch: Sie wollen Belarus in ihrem Einflussgebiet behalten.

Den Russen ist ein brutaler Diktator lieber als eine prowestliche Regierung in Minsk.

Und es ist ihnen lieber, ein brutaler Diktator wie Lukaschenko, der manchmal auch verrückte Dinge tut, regiert in Minsk als eine demokratisch gewählte, aber prowestliche Regierung.

Die Aktion von Belarus galt dem Blogger und Regimekritiker Roman Protassewitsch. Wer ist er?

Protassewitsch ist Journalist und Aktivist. Seine grosse Stunde war im letzten Jahr, als es zu den grossen Demonstrationen gegen Lukaschenko kam. Er war als Kopf hinter dem Informationskanal Nexta sehr wichtig. Er informierte über die Proteste, organisierte sie mit und warnte die Leute, wenn die Polizei auffuhr. Ohne Nexta hätte es den belarussischen Volksaufstand so nicht gegeben. Deshalb liess Lukaschenko das Flugzeug mit Protassewitsch an Bord vom Himmel holen.

Was weiss man über den Verbleib des Festgenommenen und die Haftbedingungen in Minsk?

Belarussische Staatsmedien haben am Montag ein Video veröffentlicht, auf dem man Protassewitsch sieht. Er sagt, er werde gut behandelt. Zugleich gesteht er die Verbrechen, die ihm das Regime zur Last legt. Doch das Video ist sehr verstörend – es ist offenkundig, dass Protassewitsch nicht freiwillig spricht.

Man muss vermuten, dass Protassewitsch geschlagen wurde.

Er hat auch seltsame Flecken im Gesicht, man muss vermuten, dass er geschlagen wurde. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass in belarussischen Gefängnissen schlimm gefoltert wird. Man muss befürchten, dass auch Protassewitsch als so hochrangiger Gefangener davon betroffen ist. Laut Gesetz drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Er selber hat vor seiner Festnahme sogar gesagt, er befürchte, hingerichtet zu werden.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

Rendez-vous, 25.05.2021, 12:30 Uhr ; 

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