Zum Inhalt springen

Gewaltspirale in Nahost Israels Luftwaffe greift Haus von Hamas-Chef an

  • Die israelische Armee hat Angriffe auf ranghohe Hamas-Funktionäre verübt. Unter anderem habe sie in Gaza das Haus des Chefs der islamistischen Palästinenserorganisation bombardiert, teilt das Militär mit.
  • Zuvor hatte die Hamas nach Angaben des israelischen Militärs weitere Raketen auf Israel abgefeuert. Die meisten seien aber vom Raketenschutzschirm «Iron Dome» abgefangen worden.

Nach massiven Raketenangriffen aus dem Gazastreifen hat Israels Luftwaffe dort das Haus von Jihia al-Sinwar beschossen – des Chefs des politischen und militärischen Flügels der militanten Palästinenserorganisation seit 2017. Das Gebäude in Chan Junis im Süden des Küstengebiets habe als «militärische Infrastruktur der Terrororganisation Hamas» gedient, teilte die israelische Armee mit.

Nach Angaben der Armee wurden weitere Büros und Häuser wichtiger Hamas-Mitglieder attackiert. Als Teil der fortwährenden Angriffe auf das unterirdische Tunnelnetzwerk der Hamas, der sogenannten Metro, seien 30 weitere Ziele bombardiert worden. Ausserdem habe die Luftwaffe Dutzende Waffenlager und Raketenabschussrampen beschossen.

Vergeltung von massivem Raketenangriff

Binnen 24 Stunden habe die Luftwaffe 90 Ziele militanter Palästinenser attackiert. Nach palästinensischen Angaben waren es die bisher schwersten Luftangriffe im Gazastreifen. In der Stadt Gaza wurden nach Augenzeugenberichten fünf Häuser zerstört.

Mindestens 33 Palästinenser, darunter acht Kinder, wurden bei den jüngsten Angriffen auf den Gazastreifen getötet, berichtete das örtliche Gesundheitsministerium. Dies ist die höchste tägliche Zahl an Toten seit Beginn des Konflikts am Montag.

Grosses Leid der Menschen in Gaza

Box aufklappen Box zuklappen

Die Menschen in Gaza erfahren derzeit grosses Leid. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden dort bislang 174 Menschen getötet – darunter 47 Kinder - und 1200 verletzt.

Die Ärzte ohne Grenzen (MSF) betonen, dass die jüngsten Bombardements der israelischen Armee heftiger ausfielen als frühere Angriffe. So berichtet Hellen Ottens-Patterson, MSF-Missionsleiterin in Palästina, von der Zerstörung diverser Häuser und Gebäude. Aus Furcht vor neuen Angriffen könnten sich die Menschen weder drinnen noch draussen sicher fühlen. Und das medizinische Personal nähme grosse Risiken in Kauf, um sich überhaupt noch bewegen zu können.

Die Spitäler in Gaza waren – wegen Corona - schon vor der Gewalteskalation am Anschlag. Und in der Nacht auf Sonntag bombardierte das israelische Militär dann auch noch die Hauptzugangsstrasse zum grössten Spital und machte diese unpassierbar.

Die Unicef prangert derweil an, dass seit Beginn des Konflikts etwa 10’000 Menschen im Gazastreifen vertrieben wurden, die meisten von ihnen sind Kinder. Zum ersten Mal seit Beginn der Gewalteskalation öffnete Ägypten heute Sonntag seine Grenze zu Gaza, damit Familien Verletzte zur Behandlung aus Gaza nach Ägypten bringen konnten. Dafür konnten sich Familien seit 9 Uhr heute früh anmelden.

Mohammad, 28, Besitzer einer kleinen Firma in Gaza, fasst das grosse Leid in Gaza in folgende Worte: «Gottseidank ist geht es mir und meiner Familie noch gut, aber Gaza geht es gar nicht gut. Die Situation ist schwierig, katastrophal. Überall, wo du hingehst, sind Menschen getötet worden. Wo auch immer du hinschaust, in den Quartieren, auf Kreuzungen: überall Angriffe. Am ersten Tag des Eid (Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan, d. Red.) spielten Kinder draussen, plötzlich: ein Luftangriff. Ich kann Ihnen gar nicht sagen wie elend wir uns fühlen, wie traurig, wir sind am Boden. So erleben wir diese Tage.»

Die israelischen Angriffe sind Reaktion auf Raketenangriffe aus dem Gazastreifen in der Nacht auf Sonntag. Militante Palästinenser hatten den Grossraum Tel Aviv sowie weitere israelische Ortschaften erneut massiv beschossen, wobei laut dem israelischen Militär die meisten Raketen vom Schutzschirm «Iron Dome» abgefangen worden seien. Insgesamt wurden bislang rund 3100 Raketen auf Israel abgefeuert, 1210 wurden abgefangen, wie die Armee am Sonntagabend auf Twitter mitteilte. Rund 450 der abgefeuerten Raketen seien noch im Gazastreifen selbst niedergegangen.

Raketen über Aschkelon
Legende: Raketen aus dem Gazastreifen über der Stadt Aschkelon im Südbezirk Israels. Den Schutzschirm «Iron Dome» vermögen sie offensichtlich nicht zu durchdringen. Reuters

Öffentliche Beratung des UNO-Sicherheitsrats

Der UNO-Sicherheitsrat hat sich am Sonntag zum ersten Mal in einer öffentlichen Sitzung mit dem Nahen Osten beschäftigt. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte ein sofortiges Ende der Kämpfe.

Die Vertreter der beiden Konfliktparteien lieferten sich vor dem UNO-Sicherheitsrat einen verbalen Schlagabtausch. Jedes Mal, wenn das Ausland Israel ein Recht auf Selbstverteidigung zuspreche, «fühlt es sich ermuntert, ganze Familien im Schlaf zu ermorden», sagte der palästinensische Aussenminister Rijad al-Malki.

Israels UN-Botschafter Gilad Erdan erklärte, sein Land tue alles, um zivile Opfer zu vermeiden. «Israel benutzt seine Raketen, um seine Kinder zu schützen. Die Hamas benutzt Kinder, um seine Raketen zu schützen», sagte er.

Journalistenverband erhebt Vorwürfe gegen Israel

Box aufklappen Box zuklappen

Der Journalistenverband Foreign Press Association (FPA) in Israel und den Palästinensergebieten erhebt nach der Zerstörung eines Hochhauses mit Medienbüros im Gazastreifen schwere Vorwürfe gegen Israel. Die Entscheidung, das Gebäude zu zerstören, werfe die Frage auf, ob Israel bereit sei, die Pressefreiheit zu beeinträchtigen. «Wir stellen fest, dass Israel keine Beweise vorgelegt hat, um seine Behauptung zu untermauern, dass das Gebäude von der Hamas genutzt wurde», hiess es in einem Schreiben des Verbands.

Bei dem Angriff der israelischen Luftwaffe auf das Gebäude wurden am Samstag unter anderem Büros der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und des katarischen TV-Senders Al-Jazeera zerstört. Die israelische Armee begründete den Angriff unter anderem damit, dass auch der Militärgeheimdienst der islamistischen Hamas das Gebäude genutzt habe.

Guterres mache sich auch grosse Sorgen über die steigende Zahl von zivilen Opfern auf beiden Seiten. Er erinnerte alle Seiten daran, jeder willkürliche Angriff auf zivile und mediale Strukturen verstosse gegen das Völkerrecht.

SRF 4 News, Nachrichten vom 16.5.2021, 04.00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel