Bilder von entführten Personen, Videos von Misshandlungen, erschreckende Todeszahlen. Derzeit kursiert vieles zum Nahostkonflikt auf den Sozialen Medien.
Abgesehen von den etablierten Medien informieren sich immer mehr Menschen aber auch über öffentliche Kanäle von Influencern oder eigenständigen «Journalistinnen». Dort kommen die Kriegsbilder teils ungefiltert auf die Handybildschirme .
Die Frage nach der Wahrheit
«Also wer nach Wahrheiten und Fakten sucht, schaut bei diesen Journalisten (Name des Accounts ausgelassen) », schreibt ein User unter einem SRF-Beitrag auf Instagram. «Da sind alle Fakten wahr.»
Das Versprechen dieser Kriegsaccounts: nah dran an den Geschehnissen, an der Wahrheit, und das jederzeit.
Wenn das die Grundlage für die eigene Meinungsbildung ist, ist das auf jeden Fall bedenklich.
«Über Social Media werden natürlich nicht nur geprüfte und wahrheitsgemässe Informationen vermittelt», sagt Franziska Oehmer-Pedrazzi. Sie ist Medienwissenschaftlerin und besorgt über die Verbreitung von Desinformationen. «Wenn das die Grundlage ist für die eigene Meinungsbildung, ist das auf jeden Fall bedenklich.»
Vor allem junge Menschen informierten sich zunehmend auf den sozialen Medien über den Krieg, so die Expertin. Aber insbesondere in Krisen dürfe man nicht vergessen: «Es gibt Personen, die bewusst eine eigene Agenda verfolgen. Sie versuchen, die sozialen Medien für ihre Interessen auszunutzen.»
Eine angebliche Al-Jazeera-Journalistin entlarvt
Ein Blick auf den Beitext des Accounts reicht oft nicht, um festzustellen, wer tatsächlich hinter dem Profil steckt. So sorgte kürzlich eine «Frau», die sich als Farida Khan und Al-Jazeera-Journalistin ausgab, für Aufsehen: Sie behauptete auf X, ein Video zu haben, auf dem zu sehen sei, wie eine «Hamas-Rakete im Krankenhaus einschlägt».
Reuters untersuchte das Profil und kam zum Schluss: Die Angaben sind falsch. Der arabische TV-Sender warnte daraufhin, dass keine Angestellte mit dem Namen Farida bei Al Jazeera arbeite. Das Konto wurde später entfernt.
Ähnlich bei einem Account, der ein Video veröffentlichte, das Bilder von Hamas-Fallschirmspringern zeigen soll. Diese seien während des ersten Angriffs auf Israel in Tel Aviv gelandet.
Das Video lässt sich zurückverfolgen. Es ist eine Aufnahme vom September, die aus Ägypten stammt, und hat also nichts mit den Ereignissen im Oktober zu tun.
Wer steckt hinter diesen Accounts?
«Wir haben gerade im Nahostkonflikt beobachten können, dass sich insbesondere auch Influencerinnen und Influencer äussern, die über eine besonders grosse Reichweite verfügen», erklärt Oehmer-Pedrazzi. Der Einfluss auf die Meinungsbildung der Follower sei gross. «Teilweise werden da emotional geladene Posts versandt, die sich im Nachhinein als falsch oder fehlerhaft herausstellen.»
Trolls und Bots können erheblich zur Verfälschung des Meinungsdiskurses beitragen.
«Trolls und Bots können eine grosse Rolle spielen im Diskurs, weil sie automatisiert kommunizieren.» Sie können also unbegrenzt 24 Stunden am Tag Beiträge posten und «damit erheblich zur Verfälschung des Meinungsdiskurses auf den sozialen Medien beitragen», so die Medienexpertin.
Die Fehlinformationen würden online die Gefahr einer verzerrten Meinungsbildung bergen, auch von einer Radikalisierung. Das könne auch in die reale Welt überschwappen: «Ich würde durchaus so weit gehen, dass die sozialen Medien ein zusätzliches Feuer schüren in einem solchen Konflikt», meint Oehmer-Pedrazzi.