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Nach Wahlen in Weissrussland «Die Proteste haben Züge eines Volksaufstandes»

In Weissrussland wird weiter gegen die Wiederwahl Alexander Lukaschenkos protestiert. Die zweite Nacht in Folge gehen in der Hauptstadt Minsk und im ganzen Land tausende Menschen auf die Strasse. Dabei werden die Auseinandersetzungen zunehmend gewalttätiger.

SRF News: Was weiss man genaueres über die Proteste?

David Nauer: Die Informationslage ist relativ schwierig. Aber was man sagen kann ist, dass die Proteste inzwischen sehr dezentral sind. In Minsk etwa sind Menschen in allen Stadtteilen auf die Strasse gegangen. Die Leute sind entschlossener als noch die Nacht zuvor, sie bauen Barrikaden und schiessen zum Teil auch Feuerwerk auf die Polizei ab.

Es sind paramilitärische Truppen im Einsatz, die sehr brutal gegen die Demonstrierenden vorgehen.

Es gibt auch Szenen, wo Polizisten regelrecht davongejagt wurden. Es gibt also eine gewisse Radikalisierung und Gewaltbereitschaft bei den Demonstrierenden. Aber auch die Polizei, die mit der Gewalt angefangen hat, rüstet auf. Inzwischen sind paramilitärische Truppen im Einsatz, die sehr brutal gegen die Demonstrierenden vorgehen.

Lukaschenkos Gegenspielerin war Swetlana Tichanowskaja. Diese ist am Tag nach der Wahl verschwunden. Was ist passiert?

Es ist eine ziemlich verwirrliche Geschichte, die sich inzwischen geklärt hat. Sie ist aus Weissrussland geflohen und befindet sich in Litauen. Das hat der litauische Aussenminister bekannt gegeben. Offenbar hat sie sich nicht mehr sicher genug gefühlt. Was die genauen Umstände der Flucht sind, wissen wir aber noch nicht.

Tichanowskaja hatte nach der Wahl eine zurückhaltende Strategie, sie hat nicht direkt zu Demonstrationen aufgerufen. Wohl, weil sie wusste, dass sie dafür sofort festgenommen würde. Sie versuchte aber, sich auf gerichtlichem Weg gegen Wahlfälschungen zu wehren und ging am Montag in die Wahlkommission, um eine Beschwerde einzureichen. Danach ist sie für mehrere Stunden verschwunden. Es gab Gerüchte, sie werde festgehalten.

Wie sind die Proteste organisiert?

Es fehlt eine zentrale Organisation. Die Polizei kann nicht einen Anführer verhaften und dann fällt alles in sich zusammen. Aber es ist natürlich auch ein Nachteil, weil es an einer straffen Struktur und einer klaren Strategie fehlt. Immerhin gibt es eindeutige Forderungen: Die Demonstrierenden verlangen, dass alle politischen Gefangenen freigelassen werden – das sind inzwischen Tausende. Und sie fordern faire und demokratische Neuwahlen.

Telegram als wichtiger Kommunikationskanal

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Weil die Regierung in Belarus das Internet zeitweise ausschaltet, ist die Kommunikation für die Demonstrierenden ein grosses Problem. Gewisse Seiten wie Youtube sind permanent blockiert. Die Menschen organisieren sich mehrheitlich über die App Telegram. Diese ist verschlüsselt und deshalb «ziemlich autokratensicher», sagt Nauer: Viele Aktivistinnen und Aktivisten in Osteuropa haben die Erfahrung gemacht, dass man sich auf Telegram verlassen kann, wenn man sich gegen eine autoritäre Staatsmacht engagiert.»

Die Demonstrationen sind nicht organisiert, aber doch im ganzen Land vorhanden. Ist es ein Aufstand – und wenn ja, kann man ihn noch stoppen?

Es hat Züge eines Volksaufstandes, der in vielem auch sehr spontan ist. Ich denke, die Staatsmacht kann den nicht sofort stoppen. Heute ist ein Generalstreik geplant, da wird wohl sehr wichtig sein, wie gross die Beteiligung ist. Ich bin in Moskau, weil ausländische Journalistinnen und Journalisten nicht nach Belarus einreisen dürfen. Deshalb ist es schwierig, die Kräfteverhältnisse zu beurteilen. Aber mir scheint, es gibt erheblichen Widerstand gegen das Regime einerseits. Andererseits hat Lukaschenko noch erhebliche Ressourcen auf seiner Seite – die gut ausgerüsteten Sondereinheiten sind zu allem entschlossen. Wie es weiter geht in Weissrussland, ist nicht vorherzusehen.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

SRF 4 News, 11.8.2020, 7.40 Uhr ; 

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