20 Jahre lang prägten in Bolivien die Sozialisten die Geschicke des Landes. Was mit viel Begeisterung für den ersten indigenen Präsidenten Evo Morales begann, endete mit einem Fiasko für die sozialistische Partei. Das Volk hat genug vom Sozialismus und wählte den Bürgerlichen Rodrigo Paz Pereira zum neuen Präsidenten. Er will zurück zum Kapitalismus. Er will die Märkte öffnen und verstaatlichte Firmen privatisieren. Soziale Programme sollen aber beibehalten werden. Esther Belliger kennt die Umstände in Bolivien gut und ordnet den politischen Wechsel ein.
SRF News: Warum haben so viele Menschen in Bolivien genug vom Sozialismus?
Esther Belliger: Bei den jetzigen Wahlen stand die schwere Wirtschaftskrise Boliviens im Mittelpunkt. Sie ist der Hauptgrund, weshalb die Linken so schwach abgeschnitten haben. Die Inflationsrate liegt bei fast 25 Prozent. Es herrscht Knappheit an Medikamenten oder Treibstoff und gerade für Familien mit niedrigem Einkommen ist es zunehmend schwierig, ihren Lebensstandard aufrechtzuerhalten.
Unter den Sozialisten wurde die Erdöl- und Erdgasindustrie verstaatlicht und die Treibstoffpreise wurden subventioniert. Stoppt der neue Präsident Ferreira diese Subventionsprogramme?
Im Rahmen der Wahlkampagne waren sich alle Kandidaten einig, dass es massive Eingriffe und Reformen braucht. Das bedeutet beispielsweise auch die Schliessung von defizitären Staatsbetrieben, aber auch die Kürzung von Subventionsprogrammen stehen auf dem Programm. Gerade die Kraftstoffsubventionen in Bolivien fallen mit drei Milliarden Dollar massiv ins Gewicht. Die Frage ist nur noch, um wie viel und wie schnell die Subventionen gekürzt werden. Denn als Folge davon wird die Öffentlichkeit auch mit Protesten reagieren.
Ich sehe, dass das Programm der neuen Regierung auf eine Steigerung der Produktivität und auch der landwirtschaftlichen Produktion abzielt.
Unter dem Präsidenten Morales erhielten die Indigenen mehr Rechte. Paz Pereira gehört nicht zu den Indigenen. Wird er deren Rechte beschneiden?
Man darf nicht vergessen, dass Evo Morales in einem Land mit einer Mehrheit von Indigen erstmals auf eine bewusste Integrationspolitik gesetzt hat. Diese hatte enorme soziale Auswirkungen für die indigene Bevölkerung. Ein beträchtlicher Teil der verarmten und häufig indigenen Unterschicht aus dem ländlichen Raum konnten in die Mittelschicht aufsteigen. Ich sehe nicht primär ein Risiko darin, dass mit einer neuen Regierung die Errungenschaften im Bereich der Rechte der indigenen Bevölkerung eingeschränkt werden. Ich sehe aber, dass das Programm der neuen Regierung auf eine Steigerung der Produktivität und auch der landwirtschaftlichen Produktion abzielt. Das kann in einigen Fällen zu einem Druck auf die Nachfrage nach Land führen und gerade auch in indigenen Gemeinschaftsgebieten. Das könnte unter Umständen zu Konflikten führen.
Bolivien gehört nach wie vor zu einem der ärmsten Länder Südamerikas.
Wohin steuert Bolivien nach dieser Wahl?
Die Menschen in Bolivien hoffen alle auf eine wirtschaftliche Kehrtwende und eine zügige Erholung nach dem Regierungswechsel. Es ist allen klar, dass kein Weg an harten Reformen vorbeiführt. Der neue Präsident setzt sich für eine Marktöffnung zugunsten der Privatunternehmen ein. Und er will die Wirtschaft mit Reformen aus der Krise manövrieren. Ich hoffe, das wird der neuen Regierung gelingen. Denn Bolivien gehört nach wie vor zu einem der ärmsten Länder Südamerikas.
Das Gespräch führte Daniel Hofer.