Im Treppenhaus des Hochhauses in Kiew ist es kalt und dunkel, der Lichtkegel der Taschenlampe tanzt über Stufen, die nicht enden wollen. Wir müssen in den 21. Stock, zu Fuss. Dort wohnt die 41-jährige Maryna Liuta mit ihren drei Kindern; der Mann dient in der Armee.
Düster ist es auch in ihrer Wohnung, in der Küche spendet eine Lampe fahles Licht. Maryna wirkt freundlich und konzentriert, sieht aber müde aus. Sie sagt: Die Lampe habe einen Akku und lasse sich aufladen, aber nach mehreren Stunden gehe sie langsam aus.
Eingerichtet im Ausnahmezustand
Das Problem in diesem Haus sei die totale Abhängigkeit von der Elektrizität. Das gelte für die Heizung, den Herd, sogar für das Wasser. Deshalb muss sie sich bei allen Tätigkeiten nach der Verfügbarkeit des Stroms richten. Und diese variiert jeden Tag.
Maryna ist gut organisiert. In der Küche stehen Flaschen mit Trinkwasser. Sie hat aufladbare Powerstationen, akkubetriebene Lampen, im Flur steht ein Generator, für den absoluten Notfall.
Nur keine Dunkelheit
Maryna kramt einen kleinen Gaskocher hervor. Sie könne damit Wasser erhitzen, ein Ei oder Brei zubereiten, oder Kaffee. Kochen aber geht nicht. Maryna sagt, sie kaufe oft Fertiggerichte, die sie dann zu Hause wärme.
Die Mutter tut alles, um den Kindern die schwierige Lage zu erleichtern. Sie sorge dafür, dass es nie ganz dunkel werde in der Wohnung – dank Kerzen, Akkulampen, persönlichen Taschenlampen für die Kinder, die sie in ihr Zimmer mitnehmen könnten. «Ganz im Dunkeln zu sitzen, bedeutet für Kinder grossen Stress.»
Ausserdem hörten sie dauernd Radio. «Das hilft ihnen zu spüren, dass es die Zivilisation noch gibt, dass das Leben hinter dem Fenster weiter existiert. Sie lieben das Radio über alles.»
Maryna ist arbeitstätig. Am Morgen nach dem Aufwachen schaue sie als Erstes auf die Website des Stromversorgers, sagt Maryna, und zeigt die entsprechende App auf ihrem Handy: «Heute gab es um fünf Uhr morgens Strom, bis zur Dämmerung. Und dann abends kommt er wieder, ab neunzehn Uhr, zweieinhalb Stunden lang. Das ist alles.»
Die Russen wollen nicht, dass wir glücklich sind. Deshalb müssen wir uns immer wieder von Neuem anpassen.
Das bedeutet, dass sie alles um den Strom herum organisiert: ob sie online zu Hause arbeitet, gleichzeitig wäscht und kocht, oder ob sie zur Arbeit geht und Fertiggerichte kauft. Diese fehlende Planbarkeit sei zermürbend. Sobald sich die Energieversorgung etwas stabilisiert habe, folge der nächste russische Angriff: «Die Russen wollen nicht, dass wir glücklich sind. Deshalb müssen wir uns immer wieder von Neuem anpassen», meint Maryna.
Notfallstationen und «Food Train» der ukrainischen Bahn
Diese Anpassung ist im vierten Kriegswinter schon weit fortgeschritten. In den Supermärkten gibt es dank Generatoren immer Strom, man kann sich aufwärmen oder sein Handy aufladen. Und dank mobilen Terminals auch bei Stromausfall mit Karte zahlen.
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Bild 1 von 3. Eine Bäckerei mit Schnellimbiss – auch hier wird improvisiert, während Russland unablässig die Energieversorgung angreift. Bildquelle: SRF / Judith Huber.
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Bild 2 von 3. Auf Balkonen, vor Geschäften, in Hinterhöfen: Stromgeneratoren sind allgegenwärtig – und überlebenswichtig. Bildquelle: SRF / Judith Huber.
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Bild 3 von 3. Licht vor einer Metrostation in Kiew – und rundherum tiefschwarze Nacht. Bildquelle: SRF / Judith Huber.
In dem Hochhaus, in dem Maryna wohnt, hilft man den älteren Nachbarn bei Einkäufen und in Notfällen, dafür wurde eine Chat-Gruppe eingerichtet.
Ein Abend, der positiv ausklingt
Während Maryna erzählt, wird es immer düsterer in der Wohnung, die Lampe spendet fast kein Licht mehr. Doch plötzlich ist der Strom wieder da. Der Kühlschrank beginnt zu piepsen und muss aus- und wieder eingeschaltet werden.
Alle leben auf, die Kinder kommen in die Küche. Maryna springt auf und entschuldigt sich, sie müsse schnell Wäsche waschen und alle Geräte aufladen. Und so klingt der Abend mit einer positiven Note aus, in einer hellen und warmen Wohnung.