Die USA und die Ukraine sprechen in Genf über mögliche Schritte in Richtung Frieden. Die US-Seite bezeichnete das Treffen als das produktivste seit Trumps Amtsantritt. Wie reagiert man darauf in der Ukraine, wo der Krieg unvermindert weitergeht? Die freie Journalistin Daniela Prugger in Kiew schätzt die Lage aus ukrainischer Sicht ein.
SRF News: Wie schaut man in der Ukraine auf die Entwicklungen der letzten Tage?
Daniela Prugger: Die Skepsis überwiegt. Viele haben den anfänglichen Schock über diesen Plan, der wie eine russische Wunschliste wirkt, noch nicht überwunden. Die grösste Frage derzeit ist, wie viel Einfluss Russland auf die USA nimmt. Aus ukrainischer Sicht handelt es sich beim ursprünglichen Vorschlag um eine Aufforderung zur Kapitulation. Viele sind enttäuscht, dass Donald Trump in Richtung Kreml zu tendieren scheint. Laut dem uns bekannten Plan würde Russland ungestraft davonkommen, trotz der mehr als 150’000 dokumentierter Kriegsverbrechen.
Präsident Selenski will ein Dokument, das er vor seiner Bevölkerung vertreten kann.
Was erwartet die ukrainische Bevölkerung von den Verhandlungen in Genf?
Dass die Lage nicht weiter eskaliert; und dass es irgendwann Frieden gibt. Dafür braucht die Ukraine ein ernsthaftes Signal, dass Russland an Frieden interessiert ist. Das gibt es bis heute nicht.
Halten Sie eine Einigung bis Donnerstag für realistisch?
Das werden wir in den kommenden Tagen sehen. Mit Donald Trump im Amt sind schon viele Ultimaten verstrichen, ohne dass etwas passiert ist. Mittlerweile ist von einem Rahmendokument die Rede, und dass es sich nicht um eine finale Version handele.
Die Menschen hier haben absolut kein Vertrauen in Putin oder Russland.
Präsident Selenski will ein Dokument, das er vor seiner Bevölkerung vertreten kann. Es wird am Ende davon abhängen, ob Russland den Krieg tatsächlich beenden will. Für die Menschen in der Ukraine steht und fällt derzeit alles mit dem Thema Sicherheitsgarantien, damit Russland in ein paar Monaten oder Jahren nicht erneut angreift.
Wo liegen die roten Linien der Ukraine?
Die Menschen hier haben absolut kein Vertrauen in Putin oder Russland. Punkte, die die ukrainische Verteidigung schwächen, sind aus ukrainischer Sicht unmöglich – konkret die Halbierung der Armee, Gebietsabtretungen oder der Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft. Dass Russland am Ende ungeschoren in die Weltwirtschaft integriert wird, wäre für viele inakzeptabel.
Die Ukraine steht politisch und militärisch stark unter Druck. Wie belastend ist die Lage?
Präsident Selenski hat am Freitag erklärt, dass das gerade einer der schwierigsten Momente für sein Land ist. Drei Hauptfaktoren tragen dazu bei. Zum einen steht die Armee an mehreren Frontabschnitten unter Druck. Dann steht der härteste Winter seit Kriegsbeginn bevor. Russland hat einen Grossteil der Energieinfrastruktur beschädigt. Dazu kommt der Korruptionsskandal, bei dem auch enge Vertraute von Selenski involviert waren. Viele in der Bevölkerung sind wütend. Für die Ukraine steht viel auf dem Spiel, auch der Verlust des wichtigsten Partners, den USA. Es könnte sein, dass sich gerade ein Sturm zusammenbraut.
Gibt es trotz allem auch Hoffnung?
Derzeit überwiegt Unsicherheit. Laut jüngster Umfragen erwartet nur ein kleiner Teil einen diesjährigen Deal. Einig ist man sich nur, dass der Krieg weitergeht und dass die Menschen vor dem härtesten Winter seit Kriegsbeginn stehen.
Das Gespräch führte Dominik Rolli.