In Belarus gehen die Proteste gegen Langzeitherrscher Lukaschenko unvermindert weiter. Die Oppositionelle Maria Kolesnikowa, die einige Tage verschwunden war und dann wieder auftauchte, hat Strafanzeigen gegen Geheimdienstler und Polizisten eingereicht. SRF-Korrespondent David Nauer sagt, was sie erlebt hat.
SRF News: Was hat Maria Kolesnikowa zu ihrer Verhaftung gesagt?
David Nauer: Sie schildert über ihre Anwälte, dass sie verschleppt und von Geheimdienstlern und Polizisten auf sehr üble Weise bedroht wurde. Die Männer drohten ihr mit physischer Gewalt, und dabei sei auch der Satz gefallen: Wenn du nicht freiwillig ausreist, dann bringen wir dich in Stückchen aus dem Land, eine ganz schlimme Morddrohung. Kolesnikova hat sich nicht einschüchtern lassen.
Das war eine sehr, sehr starke Tat.
Sie berichtet, dass mit einem Sack über dem Kopf an die Grenze gebracht wurde. Als man ihr den Sack abgenommen hatte, hat sie ihren Pass zerrissen, um zu verhindern, dass sie in die Ukraine abgeschoben wird. Sie will im Land bleiben. Das war schon eine sehr, sehr starke Tat.
Warum ist es Lukaschenko so wichtig, dass seine Gegenspieler ins Ausland gehen? Wie passt das in seine Strategie?
Lukaschenko stellt den ganzen Konflikt in Belarus als Angriff von aussen dar. Die USA, Polen, Tschechien, kurz gesagt der Westen würden Belarus angreifen, und deswegen will er seine Gegner aus dem Land werfen, um sie dann als Republikflüchtlinge und die Frauen aus Agentinnen des Westens verunglimpfen zu können.
Kolesnikow hat sich dem widersetzt. Welchen Stellenwert hat sie nun in der Protestbewegung?
Ich würde sagen, sie ist schon fast zu einer Ikone geworden. Sie wird nicht nur in sozialen Medien gefeiert. Sie ist inzwischen das Gesicht dieser Revolution. Sie ist eine Heldin dieses Volksaufstandes, und das hat natürlich auch damit zu tun, dass Kolesnikowa für ganz zentrale Merkmale dieser Bewegung steht. Sie steht für Gewaltlosigkeit, für Hartnäckigkeit und auch für Furchtlosigkeit.
Und Kolesnikowa ist eine Frau, und Frauen spielen im Kampf gegen Lukaschenko eine entscheidende Rolle. Sie haben sich in den vergangenen Tagen und Wochen auch immer wieder schützend vor männliche Demonstranten gestellt, damit die Männer nicht verhaftet werden.
Was steckt hinter der erstarkten Repression?
Ich denke, es hat damit zu tun, dass Lukaschenko die Unterstützung des Kremls bekommen hat. Präsident Putin hat gesagt, er würde notfalls eigene Sicherheitskräfte nach Belarus schicken, um die Regierung in Minsk zu stärken. Nur schon diese Ankündigung hat das Lukaschenko-Regime konsolidiert, insbesondere den Sicherheitsapparat.
Es ist ein Kampf darum, was für ein Land Belarus werden soll.
Man muss sich vorstellen, ein belarussischer Polizist wagt kaum zu desertieren, wenn er weiss, wenn ich gehe, dann kommen die Russen und retten Lukaschenko mit Gewalt. Also bleibt er besser. Man kann daraus ableiten, dass die psychologische Wirkung dieses Supports aus Moskau gewaltig ist.
Kann man sagen, Lukaschenko hat zwar die Unterstützung des Sicherheitsapparates , aber die Unterstützung seines Volkes hat er verloren?
Ja, das kann man sagen. Man sieht es an einem Beispiel in einem Minsker Hinterhof. Dort gibt an einer Wand ein oppositionelles Graffiti, das die Behörden schon mehrfach übermalt haben. Jede Nacht malen es die Bewohner dieser Häuser wieder hin. Es ist ein Hin und Her, und es ist ein Kampf um ein Symbol. Aber das ist auch ein Kampf darum, was für ein Land Belarus werden soll. Mein Eindruck ist, dass das Volk sich für einen Neuanfang ohne Lukaschenko entschieden hat.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.