Zum Inhalt springen

Illegale Strassenblockade Bern Ziviler Ungehorsam: Klimaaktivisten gehen aufs Ganze

Mit dieser Aktion dürften sie nicht ungeschoren davonkommen: Zwölf Klimaaktivistinnen und -aktivisten haben am Dienstagmorgen den Verkehr bei der Autobahnausfahrt Bern-Wankdorf lahmgelegt. «Sechs Personen haben sich unter anderem auf die Fahrbahn geklebt», sagt Magdalena Rast, Mediensprecherin der Kantonspolizei Bern.

Eine Klimaaktivistin sitzt mitten auf der Autobahnausfahrt bei Bern-Wankdorf.
Legende: Eine Klimaaktivistin der Bewegung «Renovate Switzerland» sitzt am 19. April 2022 mitten auf der Autobahnausfahrt bei Bern-Wankdorf. Keystone

Eine halbe Stunde lang stand der Verkehr still. Verantwortlich dafür: Renovate Switzerland. Die Beteiligten nahm die Kantonspolizei Bern auf die Wache mit. Rast sagt: «Wer an der Aktion aktiv mitgewirkt hat, muss mit einer Anzeige rechnen.»

Was hinter Renovate Switzerland steckt

Box aufklappen Box zuklappen

Renovate Switzerland ist laut eigenen Aussagen eine «zivile Widerstandskampagne» mit dem Ziel, ein nationales Programm zur Gebäuderenovierung zu forcieren. Konkret fordern die Klimaktivistinnen und -aktivisten mehr Subventionen für energetische Gebäudesanierungen. Diese sollen ab 2023 eine Milliarde Franken pro Jahr betragen – fünfmal mehr als heute. Zudem sollen bis 2025 50'000 zusätzliche Arbeitskräfte für das Baugewerbe ausgebildet werden.

Renovate Switzerland ist laut Webseite der Schweizer Ableger einer Bewegung, die bereits in anderen Ländern existiert, beispielsweise unter dem Namen «Dernière Rénovation» in Frankreich oder «Declare Emergency» in den USA.

Die Blockaden seien durchaus gefährlich – und dies nicht nur für die Demonstrierenden, so Rast. Der Rückstau könne zu Auffahrkollisionen führen, zudem habe es für Rettungsfahrzeuge kein Durchkommen gegeben.

Geldstrafen drohen

Die Autobahnblockade in Bern-Wankdorf ist die dritte innert Kürze: Bereits letzte Woche haben Aktivistinnen und Aktivisten von Renovate Switzerland Autobahnausfahrten in Genf und in Lausanne blockiert .

Polizisten führen in Lausanne einen Klimaaktivisten ab.
Legende: Am 11. April 2022 hat Renovate Switzerland bereits eine Autobahnausfahrt in Lausanne blockiert. Keystone

Die Aktion erinnert an einen Sitzstreik 2020 in Zürich: Rund 250 Demonstrierende der Umweltgruppierung Extinction Rebellion blockierten damals drei Stunden lang die Quaibrücke. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte eine Jus-Studentin darauf unter anderem wegen Nötigung zu einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 20 Franken. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Und 2019 versperrten Klimaaktivisten von Extinction Rebellion eine wichtige Durchgangsstrasse in Lausanne . Auch dort kassierten die Beteiligten im Februar bedingte Geldstrafen, die Aktivisten haben Berufung angekündigt.

Rechtsexperte: «Strengere Strafen wären angebracht»

Box aufklappen Box zuklappen

Eine bedingte Freiheitsstrafe, dies könnte den Aktivistinnen und Aktivisten im Fall der blockierten Autobahnausfahrt drohen. Diese Meinung vertritt Hans Giger, emeritierter Rechtsprofessor und Experte in Sachen Strassenverkehrsrecht. Er sagt: «Das ist keine Bagatelle, sondern eine strafrechtlich relevante Nötigung.» Und die mögliche Strafe dafür reiche von einer Busse bis hin zu drei Jahren Gefängnis. Angesichts des Ausmasses der Klimaveränderung könnten solche Aktionen des zivilen Ungehorsams zunehmen, so Giger. «Und hier muss man schon aufpassen, dass man rechtzeitig den Riegel schiebt.»

Strassenblockade ist nicht gleich Strassenblockade

Bislang habe es die Justiz bei illegalen Strassenblockaden oft bei einer Busse oder einer bedingten Geldstrafe belassen. Giger meint aber: «Meines Erachtens ist das, was auf dem Spiel steht, so gravierend, dass strengere Strafen angebracht wären.» Bei einem Sitzstreik in der Innenstadt, wie jenem 2020 auf der Quaibrücke in Zürich, gebe es für die Verkehrsteilnehmer noch Ausweichmöglichkeiten. Auf einer Autobahn hingegen stehe der komplette Verkehr still. Auch für einen Notarzt, der dringend operieren müsste, gebe es kein Durchkommen mehr. «Das ist ein grosser Unterschied.»

Für die rechtliche Würdigung sei die Handlung zentral – im aktuellen Fall also die Blockade der Autobahnausfahrt. «Aber der Effekt, der eintritt, ist für das Strafmass schon sehr massgebend. Wenn es Tote gibt, ist der Schaden gewaltig und die Tat ist automatisch strenger zu beurteilen.» Ohne Folgeschäden sei das Gericht oft etwas milder gestimmt.

Im Zivilprozess wären Schadenersatz-Klagen möglich

Der emeritierte Rechtprofessor glaubt, dass Klimaaktivistinnen und -aktivisten die Folgen ihrer Tat generell unterschätzen. Nicht nur, was die strafrechtliche Dimension angehe. «Jeder Geschädigte könnte in einem Zivilprozess eine Klage auf Schadenersatz einreichen.» Gleichwohl meint Giger, dass die Beteiligten durch allfällige Strafregistereinträge im Berufsleben wohl nicht gebrandmarkt würden. «Gerade, wenn man jung ist, wird man über solche Sachen hinweglesen.»

Bisherige Aktionsformen haben ausgedient

Weshalb greifen Menschen immer wieder zu solch illegalen Mitteln, begeben sich dafür in unmittelbare Gefahr, nehmen finanzielle Folgen und mit einem Eintrag ins Strafregister auch karriereschädigende Konsequenzen in Kauf? Historiker und Soziologe Milo Probst forscht an der Universität Basel zur Kritik an der Umweltzerstörung und damit einhergehenden sozialen Fragen. Er sagt, für die geschilderten Aktionen gebe es mehrere Katalysatoren: Zum einen das Ausmass des Klima-Problems, zum anderen die Untätigkeit der Entscheidungsträger in Regierungen und Konzernen. «Hinzu kommt die Einsicht der Aktivistinnen und Aktivisten, dass bisherige Aktionsformen nicht gefruchtet und zu keinem konkretem Umlenken geführt haben.»

Aktivisten stören die öffentliche Ordnung mit dem Ziel, eine Debatte auszulösen.
Autor: Milo Probst Historiker und Soziologe Universität Basel

Massendemonstrationen beispielsweise würden schnell zur Routine und würden dadurch an Symbolik einbüssen. Dies lasse Menschen zur Aktionsform des zivilen Ungehorsam greifen. Sprich: «Sie begehen einen gewaltfreien Regelbruch und stören die öffentliche Ordnung mit dem Ziel, auf ein Problem aufmerksam zu machen und eine Debatte auszulösen.»

Die Erfolge des zivilen Ungehorsams

Historisch betrachtet haben solche Aktionen des zivilen Ungehorsams laut Probst Veränderung herbeiführen können. Die Frauenrechtsbewegung sei ein Beispiel dafür. «Auch die Blockade von Banken hat eine öffentliche Diskussion über die Verantwortlichkeit des Finanzplatzes Schweiz in der Klimafrage ausgelöst.»

Die Klimabewegung sollte sich eher darauf konzentrieren, grosse und mächtige Akteure zu adressieren.
Autor: Milo Probst Historiker und Soziologe Universität Basel

Wie zielführend Sitzstreiks auf Autobahnen während Pendlerzeiten sind, will der Doktorand, der selber in der Klimabewegung aktiv ist, nicht kommentieren. Er glaube, es ergebe durchaus Sinn, störend zu sein. Aber: «Die Klimabewegung sollte sich eher darauf konzentrieren, grosse und mächtige Akteure zu adressieren und weniger Menschen, die im Alltag sehr wenig Einfluss auf die grossen politischen Entscheidungen haben.»

Tagesschau, 19.04.2022, 12:45 Uhr

Meistgelesene Artikel